Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
sie ihn über einen Strom führte, der Ewigkeit entgegen, nach der er sich sehnte. Und wenn sein Gewissen ihm vorwarf, er lebe auf der Flucht vor sich selbst, so bettelte er um ein paar Augenblicke mehr in diesem Zustand am Rande der Illusion. Er hing sehr an Kunsang, nahm sich immer Zeit für sie, brachte ihr Kaugummi und bunte chinesische Spielsachen mit. Das kleine Mädchen sprach gut Chinesisch und mochte ihn sehr. Sie war inzwischen neun Jahre alt geworden. Einmal sagte er plötzlich zu Chodonla:
    »Kunsang sollte in China erzogen werden. Da hätte sie bessere Chancen als hier.«
    »Nein! Das will ich nicht.«
    »Vielleicht solltest du es dir überlegen. Was hier geschieht, ist sehr unberechenbar.«
    Kunsang war Halbchinesin, Khang ma char – weder Regen noch Schnee, wie man in Tibet solche Kinder nannte. Aber sie hatte keine legale Existenz, das wurde hier übel vermerkt. Sun Li sprach weiter, als ob er laut dachte.
    »Ich könnte ihr Vormund sein. Die Behörde würde zu meinen Gunsten entscheiden. Meiner Frau würde es gut tun, wieder ein Kind 392
    zu haben.«
    Chodonla starrte ihn an. Unvermittelt war ihr, als bekäme sie keine Luft mehr. Haß explodierte in ihr, so daß sie innerlich zitterte. Sie mußte alle Selbstbeherrschung aufbieten, um es sich nicht anmerken zu lassen. Unter dem Druck der Angst versagte ihre Stimme.
    »Du kannst mir mein Kind nicht wegnehmen.«
    »Das will ich ja auch nicht. Sei nicht wütend. Welche Möglichkeiten hat Kunsang in Tibet?«
    »Ich… ich verstehe nicht, was du meinst.«
    Er seufzte mitfühlend.
    »Es tut mir leid, Chodonla. Diese Dinge müssen ausgesprochen werden. Du kennst doch die Behörden. Sobald ich keine Schmiergelder mehr zahle, wird man Kunsang von der Schule weisen. Sie ist wirklich begabt. Du kannst ihr den Weg nicht verbauen. In China könnte sie zur Universität gehen… Für sie ist das Leben hier ungeeignet. Früher oder später wird sie es merken und unglücklich sein. Du wirst es bereuen, Chodonla. Glaube mir doch, sie wird es in China viel besser haben.«
    Am letzten Morgen, bevor er zurück zu seiner Baustelle fuhr, bat er Chodonla, sich nackt, nur mit ihrem schwarzen Büstenhalter bekleidet, auf die grünseidene Decke auszustrecken. Sie öffnete die Beine, und er legte sich bedächtig und akkurat dazwischen. Er hob mit beiden Händen ihr Gesäß, drang heftig keuchend in sie ein.
    Diesmal erreichte er den Orgasmus, so stark, daß es ihn schüttelte.
    Das Morgenlicht fiel in den Raum. Sun Li warf einen Blick aus dem Fenster. Der Fahrer stand vor dem Haus, an seinen Jeep gelehnt, und rauchte eine Zigarette. Sun Li las seine Kleider auf, die verstreut auf dem Boden lagen, und begann sich anzuziehen. Er nahm sein Gepäck, warf eine Daunenjacke über seinen Arm.
    Als er gegangen war, sah Chodonla einige Geldscheine auf dem Tisch. Sie bückte sich, holte eine Schachtel unter dem Bett hervor.
    Sie bewahrte dort ihre Habseligkeiten auf: ihren Trauring, ein altes Bild Seiner Heiligkeit, Norbus Brille und eine dünne Kette mit Blutkorallen, sein letztes Geschenk. Chodonla warf das Geld in die Schachtel, machte den Deckel zu und schob sie wieder unter das Bett. Sie lag auf den gespreizten Knien, beide Arme auf die grüne Decke gestützt, und erbrach sich.
    »Das war vor vier Tagen«, sagte Chodonla. »Seitdem schlafe ich nicht mehr. Ich bin müde, Atan. So entsetzlich müde…«
    Ein Hustenanfall schüttelte sie. Sie war immer noch ganz verstört 393
    von all dem Erinnern. Ich löste mich von ihr, hob die Flasche vom Boden auf.
    »Trink.«
    »Ja.«
    Ich hielt das Glas, gab ihr zu trinken. Nach jedem Schluck holte sie keuchend Atem.
    »Wie das gut tut! « flüsterte sie.
    Sie zitterte jetzt weniger. Ihre Hand fuhr zerstreut durch das Haar, über die flatternden Lider. Sie richtete sich ein wenig auf.
    »Ich wollte dich fragen, Atan… würdest du etwas für mich tun?«
    Ich nickte.
    »Angenommen… mir sollte etwas zustoßen… würdest du Kunsang über die Grenze bringen?«
    Ich sagte, sehr ruhig und jedes Wort betonend:
    »Warum meinst du, daß dir etwas zustoßen könnte?«
    Sie überging die Frage, sprach weiter, wie im Fieber.
    »Sun Li meint es gut. Und er sagt die Wahrheit. Er liebt Kunsang sehr, er hält sie für klug. Aber ich bin ihre Mutter, und ich bin Tibeterin. Kunsang soll nicht als Chinesin aufwachsen. Einmal muß ich ja aufhören, diese Angst zu haben, daß sie erleben könnte… was ich erlebt habe… oder auch das, was mit Sun Lis Kindern

Weitere Kostenlose Bücher