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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Nähe, als ob ich Karma mein Leben lang gekannt hätte.
    Sie sagte:
    »Meine Lektionen hier brauchen eine Menge Zeit.«
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    »Ich kann dir den Unterricht bezahlen.«
    Sie schüttelte den Kopf zum Zeichen der Ablehnung.
    »Darauf kommt es überhaupt nicht an.«
    Daß ich als Volontärin in der Krankenstation arbeiten und etwas zu unserem gemeinsamen Haushalt beitragen würde, genügte vollkommen. Aber ich sollte wissen, daß ich viel zu lernen hatte.
    »Und wenn du vor dem Ende aufgeben willst, kannst du gehen, und ich werde dir deswegen nicht böse sein.«
    »Schön«, sagte ich.
    Ihr ruhiger Ausdruck veränderte sich; sie lächelte auf besondere Art, als wollte sie ihre Kraft verbergen. Gleichzeitig drückte sie leicht mein Knie.
    »Du kehrst hier an eine Quelle zurück, die seit Jahrtausenden fließt. Warte nur ab, die Erfahrung wird zum Vorschein kommen, Tropfen für Tropfen. Aber es kann sein, daß du ungeduldig wirst. Ich war es am Anfang auch.«
    »Ungeduld ist nicht immer negativ«, sagte ich. »Als Mittel zum Zweck kann sie recht nützlich sein.«
    »Ich habe geweint, weil ich mich so dumm fühlte.«
    »Ich weine nie, außer im Zorn.«
    Sie lehnte sich zurück. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
    »Du willst also bleiben.«
    »Ich werde tun, was ich kann.«
    »Das steht allerdings zu hoffen, denn sonst…«
    Wir brachen in Lachen aus, lachten, bis uns die Luft ausging und wir einen Schluck trinken mußten. In uns war der Widerhall eines gleichklingenden Gefühls. Das liegt in der Familie, würde Amla sagen. Man tut die Dinge richtig – oder gar nicht. Karma und ich teilten wohl dieselbe Willenskraft, ein Verhalten, das sich auf das ganze Leben erstreckte, nicht auf diese oder jene einzelne Tat.
    Unnütz, das anders zu erklären als in Gelächter; wir verstanden uns.
    »Wann beginnen wir?« fragte ich, als ich wieder sprechen konnte.
    Karmas Lachen erlosch im gleichen Atemzug; sie legte mir die Hand auf die Schulter und sah mich ernsthaft an. Mein Herz schlug wild.
    Ihre Augen waren voller Leuchtkraft, als spiegelte sich in ihnen die Farbe des Himmels.
    »Gleich, wenn du willst.«
    »Sobald ich meinen Rucksack ausgepackt habe.« Sie nickte. Ihre Stimme klang plötzlich sehr sachlich. »Wir dürfen keine Zeit mehr 107
    verlieren. Ein Drittel deines Lebens hast du schon gelebt. Aber du hast nachgedacht und dich von vielen Sachen getrennt. Das ist ausgezeichnet. Je mehr du hergibst, desto mehr kommt zurück. Du wirst es schon gut machen.«
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12. Kapitel

    M athai Shankar, der Leiter der Krankenstation, war kleingewachsen, höflich, mit melancholischen Augen. Über seinem weißen Kittel waren ein zerknitterter Hemdkragen und eine ungeschickt geknotete Krawatte zu sehen. Sein Haar war blauschwarz und lockig. Er hatte in Bombay studiert und war auf Pathologie spezialisiert. Die nepalische Gesundheitsbehörde hatte ihn vor drei Jahren nach Pokhara geschickt.
    »Du wirst gut mit ihm auskommen«, hatte Karma gesagt. »Er ist ein feiner Kerl, gar nicht hochnäsig, obwohl er ein Rana ist.« Die Ranas – ursprünglich aus dem Geschlecht der indischen Radshpuen
    – hatten ein Jahrhundert lang despotisch über Nepal geherrscht. Die Sippe war nicht mehr an der Macht, verfügte aber nach wie vor über das meiste Geld. Sie waren, wie man so sagt, »große Tiere«, ihr Standesdünkel war enorm. Nur ab und zu tanzte ein Mitglied aus der Reihe. Mathai Shankar war zu wirklichkeitsnah, um als Schmarotzer leben zu können, und zu klug, um in einem vollklimatisierten Büro die Daumen zu drehen. Daß ich als Volontärin arbeiten wollte, freute ihn. Sein einfühlsames Gesicht wirkte müde, und er bot mir eine Zigarette an, die ich ablehnte. Sein Bedürfnis, sich auszusprechen, hatte etwas Rührendes.
    »Eine gute Sache, daß Sie da sind, Doktorin. Nach der Regenzeit ist hier allerhand los, müssen Sie wissen. Da kommen die Flüchtlinge.«
    Er sprach mit leiser, wohlklingender Stimme, bewegte seine schmale Hand mit der Zigarette hin und her. Ich erfuhr, daß die meisten Flüchtlinge an Magen-Darmbeschwerden litten, an Lungenerkrankungen, Infektionen und Kropfbildung. Es gab auch Pocken und Dysenterie-Krankheiten.
    »Und Erfrierungen natürlich. Erfrierungen kommen fast immer vor. Sie haben nicht die richtigen Kleider, kein geeignetes Schuhwerk. Chinesische Qualität, verstehen Sie? Früher, da hatten sie Stoffe aus guter Wolle, wasserabweisend, und warme Fellstiefel.
    Und heute? Plastik, Polyester, billiger

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