Die Tibeterin
Duschkopf in die Wand montiert, und der Lehmboden war mit einem Abflußrohr versehen. Eine Toilette mit dem üblichen Blechkrug stand auch da.
»Großartig«, sagte ich.
Sie blinzelte vergnügt.
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»Wir leben – wie du siehst – im Luxus.«
Ich sah mich um. Im Wohnzimmer befand sich, wie in allen tibetischen Häusern, eine Altarwand mit dem vergilbten Porträt des Dalai Lama, die sieben Silberschalen, frische Blumen und zwei kleine Butterlampen. Die Regale zu beiden Seiten beherbergten Bücher in englischer und tibetischer Sprache. An der Wand gegenüber war eine Sitzbank angebracht, mit Kissenrollen und dunkelblauen Teppichen belegt. Auf dem niedrigen Tisch lag ein Spitzendeckchen. Die Wände schmückten einige Rollbilder aus verblichenem Brokat.
Der zweite Raum war so klein, daß zwei Sofabetten ihn fast gänzlich ausfüllten. Karmas Kleider – es waren nur wenige - hingen an Drahtbügeln hinter einem geblümten Vorhang. Karma wies auf einen Koffer alter Machart, der mit Fell bezogen war.
»Er gehörte meiner Mutter. Das Fell ist schon ganz mottenzerfressen. Aber ich kann mich nicht entschließen, mich von ihm zu trennen.« Sie verzog leicht das Gesicht. »Mitunter klammert man sich an Belanglosigkeiten… «
Sie machte sich in der Küche zu schaffen, kam mit einer Flasche Orangensaft und zwei Gläsern zurück und stellte eine kleine Dose mit Keksen auf den Tisch. Inzwischen erzählte ich von den Eltern, von den Geschwistern. Keine Einzelheiten, das kam später. Aber auch später sprach ich nicht von Chodonla, und Karma stellte auch keine Fragen.
»Ich mag Leute, die unerwartet kommen«, sagte Karma. »Wie hast du mich gefunden?«
Sie stützte ihre Wange in ihre feingegliederte Hand. Ihr Gesicht war wunderbar ruhig. Sie schien weder jung noch alt, vertraut und zugleich rätselhaft. Ich erzählte, daß ich ihr vergeblich aus der Schweiz geschrieben hatte und auf gut Glück nach Nepal gekommen war. Als ich von Jonten Kalon sprach, verwandelte sich ihr Gesicht, zeigte Besorgnis und etwas Angst.
»Wie geht es ihm?«
»Er ist gut in Form, scheint mir.«
Sie lächelte ein wenig und entspannte sich.
»Nach allem, was er durchgemacht hat, ist es ein Wunder, daß er überhaupt noch lebt. Ich bin froh, daß es ihm gut geht.«
»Seit ich mit ihm gesprochen habe, sehe ich die Dinge klarer.«
»Hat er dir gesagt, wieviel Jahre die Ausbildung dauert?«
»Ich kann bleiben, so lange es sein muß.«
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»Wie bist du darauf gekommen?« fragte sie.
»Alles, was ich tat, war auf irgendeine Weise blockiert. Ich fühlte mich, als ob ich mit dem Kopf gegen eine Mauer rannte. Ein paar Monate war ich innerlich sehr unruhig und eine kurze Zeit lang auch nicht ganz sicher. Aber ich glaube, daß ich bei dir am richtigen Ort bin.«
Sie erwiderte in nüchternem Tonfall:
»Was du tun willst, ist schwer. Dein Leben ändern, meine ich.«
Vielleicht hätte ich jetzt von Selbstfindung reden können.
Aber die Gefühle in mir ließen sich schlecht beschreiben, so als läge es in ihrer Natur, nicht ausgedrückt werden zu können. Es handelte sich um eine Einsicht, die sich von selbst und auf konsequente Weise vollzogen hatte. Und irgendwie hing sie mit Chondonla zusammen, mit ihrem Geheimnis. Ich sagte:
»Hör zu, Karma. Ich kehre der westlichen Medizin in keiner Weise den Rücken. Meine Frage lautet: Was kann die tibetische Medizin mehr? Ich weiß, sie hat stets die Zusammenhänge im Auge und achtet auf das Gesamtbild des Menschen. Kräuterheilmittel und Mineralien wurden auch in Europa angewendet, bis sie das Aufkommen chemikalischer Wirkstoffe verdrängte, und sie als Kurpfuscherkram mißachtet wurden. Heute macht man sich die Mühe, die »Hausmittel« zu analysieren und staunt über ihren wissenschaftlichen Wert. Du hast diese Heilmittel erprobt, du wendest sie an. Das möchte ich auch lernen.«
Ihre Augen ließen von mir nicht ab. Sie waren sehr klar, lagen haselnußbraun unter langgezogenen Brauen.
»Ich an deiner Stelle würde mich fragen, ob es sich lohnt. In Europa könntest du viel Geld verdienen.«
»Ich habe mich an den Gedanken gewöhnt, ein paar Jahre lang nichts zu verdienen.«
Sie runzelte tadelnd die Stirn.
»Du denkst nicht praktisch.«
»Ich habe das Gefühl, daß es nicht immer nötig ist.«
Sie goß mir mehr Orangensaft ein.
»Trink, die Luft ist trocken in Pokhara, auch wenn es regnet. Man hat immer viel Durst.«
Ich trank fast das ganze Glas aus. Ich empfand ein Gefühl der Intimität und
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