Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
Schuldgefühl aus. Was Karma sagte, war einleuchtend, wenn ich es auch nicht gerne hörte. Ich sagte:
    »Ach Karma, entschuldige! Ich bin ganz durcheinander. Es ist schon gut, daß ich die Wahrheit weiß. Doch, ich meine es ehrlich. Es ist viel besser so. Jetzt muß ich zunächst an Chodonla denken. Aber wenn du sagst, ich soll abwarten, so werde ich das tun. Ich möchte sie nicht durch irgendeine Unachtsamkeit in Gefahr bringen.«
    126

14. Kapitel

    D er Monsun setzte früher ein als gewöhnlich. Aus Tälern und Schluchten quollen Dämpfe empor. Schon vormittags wurde es drückend warm. Das Gebirge war nebelverhüllt, und darüber schoben sich die Wolken – weiß und schiefergrau und schmutzig gelb – unaufhörlich in die Höhe und in die Breite. Manchmal öffneten sich dunkle Löcher im Gewölk; irgendeine Windströmung löste die Wolken auf und drängte sie zur Seite. Sie schlossen sich ganz langsam und öffneten sich an einer anderen Stelle wieder. Mit dem anschwellenden Donnerrollen kam auch der Regen. Schwere Wassertropfen klatschten in den Sand. Ein scharfer Geruch nach Schwefel und nassem Staub drang aus der Erde. Die Bäume schüttelten sich und knirschten, abgerissene Blätter kamen in Büscheln geflogen. Aufgescheuchte Vögel und Fledermäuse flatterten über die ächzenden Sträucher. Der Himmel war von einem Muster zitternder Blitze überzogen wie von einem Spinnennetz.
    Violette Scheine zuckten auf; phosphoreszierende Bänder sprangen von Wolke zu Wolke. Der Regen, von Sturmböen getragen, prasselte unaufhörlich, bis sein gewaltiges Trommeln jedes andere Geräusch übertönte. Im Süden von Nepal brach ein Damm. Ein Tal stand unter Wasser, verschiedene Dörfer wurden vernichtet. Die Zahl der Opfer kannte niemand, denn sämtliche Verbindungen waren zerstört und die betroffenen Gebiete tagelang von der Außenwelt abgeschlossen.
    Alle fühlten sich müde und reizbar; auch ich spürte einen schmerzhaften Druck im Kopf, als presse von innen her ein Gewicht gegen meine Augäpfel. Meine Nerven waren überempfindlich, und nur die Arbeit half mir, meine innere Unruhe loszuwerden.
    Der Sturm griff die Hochspannungsleitung an. Licht und Telefon setzten tagelang aus. In Pokhra waren die Straßen voller Schmutz, stand der Schlamm knöcheltief. Jeder vorbeirumpelnde Wagen schleuderte Wassergarben hoch, die Fahrradfahrer strampelten aus Leibeskräften durch den Regen. In den Häusern war es eiskalt. Der Geruch nach Holzkohle machte die Luft noch stickiger. Dann ging –
    ganz allmählich – die Regenzeit vorüber. Die schweren grauen Wolken brachen auseinander, und die Sonne kam durch. Strahlend blauer Himmel wölbte sich über dem Hochtal. Die Berge, die großen weißen Berge, kamen in Sicht, sahen aus wie mit frischem Zuckerguß überpudert. Sofort leuchteten die Reisterrassen grün wie 127
    Smaragd. In der feuchten Wärme sprossen Wildblumen und Pflanzen in üppiger Fülle. Die Jahreszeit war günstig: Karma und ich brachen täglich frühmorgens zum Kräutersammeln auf. Der Wind wehte in Wirbeln, wie kleine Dampfwolken fast, man spürte die Tropfen weich auf der Haut. Wir trugen hohe Bergschuhe zum Schutz gegen die Blutegel; sie fielen uns trotzdem an, fraßen sich durch die Jeans, die dicken Strümpfe, die abends blutgetränkt waren. Auch die Flöhe waren eine Plage; überall am Körper spürten wir ihre Bisse, und wir entwickelten bald eine fabelhafte Geschicklichkeit, sie zu fangen.
    Die Erde duftete schwer und feucht vom Regen des Vortages. Die ferneren Berge bildeten rings um den Horizont eine weiße Mauer, die sich mit zunehmender Tageshitze im Dunst auflöste. Wir wanderten sechs, acht Stunden am Tag, unaufhörlich hinauf und hinab. Dünne Schweißbäche rannen über unsere Wangen, machten unsere Gesichter ölig. Karma suchte den großblättrigen Bergrhabarber, den sie sorgfältig ausgrub, um die Wurzeln zu nutzen. Er wurde geschält und über dem Feuer getrocknet und geräuchert, ebenso wie die Arnika, sobald sie in voller Blüte stand.
    Gewisse Wurzeln wurden nur bei zunehmendem oder abnehmendem Mond ausgegraben, andere bei Feuchtigkeit und Morgensonne.
    Buchsbaumblätter heilten eiternde Wunden, Rittersporn half bei Verstopfung und Blasenentzündungen. Eine besondere Flechtenart galt als gutes Antibiotikum. Farne, von denen es viele Sorten gab, halfen bei Erkrankungen der Atemwege, Wurmbefall des Darms und dienten zudem zur Heilung von Schnittwunden und Prellungen.
    Kamille, Pfefferminz,

Weitere Kostenlose Bücher