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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Karma zum Flughafen; in der Abflughalle lärmten Trecking-Touristen, fröhlich, braun gebrannt und von Moskitos zerstochen. Wie üblich hatte das Flugzeug Verspätung. Der Wind schob in geringer Höhe große weiße Wolkenfetzen über den Himmel; Regentropfen klatschten an die Scheiben. Karma wollte eine Woche fortbleiben. Sie würde bei Freunden wohnen, sagte sie unbestimmt, aber ich dachte mir meinen Teil. Ferner wollte sie Jonten Kalon im Tritan Norbutse Kloster besuchen. Es bestand wenig Aussicht, daß er noch lange leben würde, und seitdem Karma in Pokhra war, hatte sie ihn nicht mehr gesehen.
    »Wir haben viel zu besprechen. Das Besondere an ihm ist«, Karma lächelte plötzlich, als falle ihr das zum ersten Mal ein, »daß er im Kloster lebt und dabei den genauen Überblick hat, was so alles in der Welt geschieht. Er wird natürlich nach dir fragen.«
    »Und was wirst du ihm sagen?«
    »Daß du eine begabte Schülerin bist.«
    »Ich gebe mir Mühe.«
    Sie drückte meine Hand. Sie hatte eine rauhe Haut, aber ihr Händedruck war weich.
    »Das wird ihm Freude machen.«
    Das Flugzeug landete, eine große Schleife drehend, und bald wurden die Passagiere aufgerufen.
    Eine halbe Stunde später startete die Maschine, verschwand in den Wolken. Der holprige, überfüllte Bus brachte mich nach Tashi Packhiel zurück. Ich ging auf dem schnellsten Weg zur Krankenstation. Im Vorzimmer warteten schon die Patienten. Dechi lächelte nervös, während sie beflissen Namen, Alter und Herkunft in den Computer speicherte. Eine Großmutter war mit der vollzähligen Familie – drei Söhne, deren Frauen und fünf Kinder – über den verschneiten Nangpala-Paß gekommen. Alle hatten Bronchitis –
    außer der Großmutter, die nicht wußte, wie alt sie war. Sie sah aus, als könne ein Hauch sie davonwehen, aber ihre pechschwarzen kleinen Augen glänzten wie Vogelaugen. Ich durchleuchtete die alte Dame. Nichts. Keine Spur von Erkältung, kein Schatten auf der 133
    Lunge, keine Arthrosebildung. Sie freute sich auf eine warme Suppe.
    Nachdem ihr diese gebracht worden war, fragte sie, zufrieden schlürfend:
    »Wo kann ich Seine Heiligkeit sehen?«
    Dechi erwiderte etwas verstört, daß Seine Heiligkeit nicht hier, sondern in Dharamsala, in Indien, zu finden war. Und daß man mit dem Flugzeug dorthin reisen mußte.
    »Dann fliege ich eben.« Die flinken Knopfäuglein funkelten trotzig. »Im Angesicht Buddhas versprach ich, nicht zu sterben, bevor er mich nicht gesegnet hat.«
    Ich impfte einen dreizehnjährigen Bauernjungen gegen Tuberkulose. Pasang war mit einer Gruppe von Flüchtlingen eingetroffen. Beide Eltern waren an Tuberkulose gestorben. Er hatte ein liebenswertes rundes Gesicht und kluge Augen. Nachdem ich ihn geimpft hatte, sagte er: »Thank you«.
    Ich lächelte ihn an.
    »So so, du kannst also englisch?«
    Er wühlte in seinen Habseligkeiten und zeigte mir ein englisch-tibetisches Lehrbuch, abgegriffen und zerfleddert. Eine englische Touristin hatte es ihm geschenkt. Seit zwei Jahren lerne Pasang die Worte auswendig.
    »Wenn ich richtig gut englisch kann, fahre ich nach Southampton, wo Mrs. Jardine wohnt. Sie hat mir ihre Adresse gegeben und gesagt, daß ich sie besuchen soll.«
    Abends löste mich Mathai Shanka ab. Ich war müde, aber ich schrieb noch ein paar Briefe, bevor ich einige Stunden schlief.
    Frühmorgens war ich wieder im Sprechzimmer, Flüchtlinge kamen in schlechtem Zustand an. Eine junge Frau war im vierten Monat schwanger. Sie blutete und hatte große Angst, ihr Kind zu verlieren.
    Ich sagte der Frau, sie solle ein paar Tage hierblieben. So ging es weiter. Noch mehr Lungenkranke, noch mehr Keuchhusten, ein schlimmer Armbruch. Ein Junge war in eine Gletscherspalte gefallen; sein Handgelenk war zersplittert, zwei Knochen staken aus der Haut, und alles hatte sich entzündet. Ich flickte zwei Stunden lang, bohrte Löcher, setzte Schrauben ein. Der Bruch würde heilen.
    Vor Müdigkeit hatte ich kaum noch ein Gefühl in den Händen, aber der Tag war noch nicht zu Ende für mich. Ich hatte gerade einem jungen Mönch eine Typhusimpfung gegeben und klebte ein Heftpflaster auf den Einstich, als ein Mann hereinkam, den Arm um eine erschreckend bleiche Frau gelegt. Der Mann trug einen 134
    Wolfspelz, der über seinem Kopf eine Art Kapuze bildete. Das erste, was ich dachte, war: Wie groß er ist! Ich hatte selten so große Tibeter gesehen. Schlagartig wirkte der ganze Raum zu klein, so daß alle unwillkürlich zur Seite

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