Die Tibeterin
schwingende Lebenskraft, etwas Unzerstörbares: Die Fähigkeit, sich jedem Umstand anzupassen und sich dabei selbst keinem Umstand zu verpflichten.
Er war ein durch die Tragödien vieler Jahre furchtlos gewordener Mann.
Meine Empfindungen erinnerten mich an nichts, was mir je 156
widerfahren war; sie waren vollkommen neu. Und gerade diese Distanz erschien mir als ein Schutz, gab mir ein Gefühl der Sicherheit. Das Begehren ist ein biologischer Vorgang, das Schicksal würde mich von diesem Körper schon morgen trennen. Gut. Doch jetzt – in diesem bewußt erlebten Augenblick der Schwäche – nahm er mich ganz gefangen. Verlangen entsteht in aller Stille, aber aus dem geheimen Bereich des Geschlechts flackert, wie ein Funke, die wache Erkenntnis um die Absichten und Gedanken des anderen. Und so hob ich mein Gesicht zu ihm empor, im selben Augenblick, da er mit beiden Händen meinen Hals umfing. Seine Pupillen schienen sich noch weiter zu öffnen. Sein Haar, intensiv duftend wie seine Haut, fiel über mein Gesicht. Meine Kehle schnürte sich zusammen.
Seine Hand glitt meinen Hals hinunter, legte sich auf meine Brust.
Ich bewegte die Lippen an seiner Wange, fuhr mit der Zungenspitze über seine Lippen, teilte sie mit einem kleinen Biß. Es war ein langer, harter Kuß, und er entflammte mich wie Feuer ein Stück trockenes Holz. Mein Atem flog, mein Blut kreiste schneller.
Erregung stieg in Wellen in mir auf, auch als meine Hände über seine Brust strichen und ich Narben auf der glatten Haut spürte.
Narben. Im Dunkeln konnte ich sie nicht sehen; ich nahm sie nur durch meine tastend fühlenden Finger wahr, die ihre Umrisse erforschten. Er hatte Narben auf der Brust, auf den Schultern, auf den Oberarmen. Manche hatten Verschrumpfungen gebildet.
Verbrennungen, offenbar. Ich mußte sie mir bei Licht ansehen.
Er jedoch schob die Windjacke von meinen Schultern, hob mich hoch und trug mich zum Bett. Ich hatte das Gefühl, nicht mehr Gewicht als eine Puppe zu haben. Ich streifte meine Schuhe ab, ohne die Schnürsenkel zu lösen; ich trug nicht, wie Karma, die tibetische Tracht, sondern Jeans, Hemdbluse, einen wollenen Pullover. Er öffnete den Reißverschluß meiner Hose, ließ sie über meine Beine gleiten, zog den Pullover über meinen Kopf, knöpfte die Bluse auf.
Weil es kalt war, trug ich Unterwäsche aus dicker Baumwolle.
Keinen Büstenhalter, mein Körper war straff und geschmeidig, eher untersetzt, der Busen spitz und sehr klein. Früher, als Mädchen, hatte mir das Kummer gemacht. Als ich ausgekleidet war, deckte er den Pelz über mich; das Fell, noch warm von seinem Körper, hatte seinen Geruch angenommen. Als er sich nackt auf mich legte, spürte ich die außergewöhnlich harten, festen Muskeln. Dieser Körper, der sich so sanft und elastisch bewegte, verfügte über eine Stärke, so ausgewogen und beherrscht, daß keiner sie wahrnehmen konnte, 157
solange er es nicht bewußt darauf abgesehen hatte.
»Ich möchte deine Zöpfe lösen«, sagte er, dicht an meinem Mund.
Ich nickte wortlos. Nacheinander entfernte er die Spangen. Seine langen Hände waren schwielig und narbenbedeckt, aber locker. Die Knöchel und Adern traten deutlich hervor. Seine Bewegungen waren leicht, fast schwebend; eine Frau hätte es nicht geschickter gemacht.
Auf diese Weise löste er das Haar, bis es schwer und geringelt auf meine Schultern fiel. Dann schob er es nach oben, breitete es wie einen Fächer unter meinem Kopf aus. Er vergrub sein Gesicht in meinem Haar, nahm eine Strähne in den Mund und kaute daran. Er sah mir gerade in die Augen, und ich hatte das Gefühl, daß er mich nicht richtig wahrnahm, daß er qualvoll und gedankenschwer auf etwas schaute, was dicht hinter dem Rand seiner Erinnerungen schwebte. Doch gleichzeitig sah er aus wie ein Mann, der Frieden mit seinem Schicksal gemacht hat. Sein Geheimnis bestand in Widersprüchlichkeiten. Wo auch immer er im Geist war, er wußte, was zu tun war und wie er es tun mußte. Es war, als ob eine Kraft, die seinem Willen überlegen war, ihn lenkte.
Ich beobachtete ihn voller Neugierde, mit unbeteiligtem Herzen und schauderndem Begehren. Einen Augenblick später aber war mein Gefühl bar jeden Denkens, befreit von allem bis auf die Empfindungen, die in mir erwachten, als seine Hände meine Brüste berührten, sie ganz bedeckten, daß nur die Warzen, sanft und braun wie Honig, zwischen seinen Fingern sichtbar wurden. Und jetzt neigte er das Gesicht tiefer, nahm die Spitzen,
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