Die Tiefen deines Herzens
wie ich mich selbst.
Ob er auch gedacht hat, dass mein Shirt eine gute Wahl gewesen ist?, überlegte ich und schüttelte gleich darauf den Kopf. Was scherte es mich, was Marc über meine Figur oder Klamotten dachte?
Ehe meine Gedankengänge noch konfusere Windungen nehmen konnten, beschloss ich, das Thema zu wechseln.
»Sag mal, wie kommt es eigentlich, dass du so gut Deutsch sprichst? Ich meine, viel besser als Jamie, der schon fast zwei Jahre hier lebt.«
Marc grinste schief. »Daran ist Clara schuld.«
»Clara? Wie das denn?«
Marc verzog gespielt gequält den Mund. »Sie hat mich schon als kleinen Jungen
gezwungen,
immer mit ihr Deutsch zu sprechen.«
»Du Armer«, bemitleidete ich ihn.
Marc grinste noch breiter. Aber dann wollte er wissen: »Was ist jetzt, du Sportskanone, laufen wir weiter oder artet das Ganze hier in ein nettes Plauderstündchen aus?«
Ich stöhnte: »Wenn’s unbedingt sein muss«, und trabte los.
Doch nach geschätzten fünfhundert Metern war ich endgültig mit meinen Kräften am Ende. Außerdem brannte die Sonne inzwischen unerbittlich vom Himmel.
»Ich kann nicht mehr«, erklärte ich entschieden, blieb stehen, zog meine Turnschuhe und Socken aus und tappte ins Wasser. »Boah, tut das gut. Lauf ruhig weiter, wenn du willst. Ich bleibe hier.«
Marc zögerte einen Moment, aber dann schüttelte er den Kopf. »Schon okay. Ist heute vielleicht wirklich ein bisschen zu heiß zum Joggen.« Damit entledigte er sich seiner Klamotten und stürmte an mir vorbei ins Wasser.
Ich bekam jede Menge Spritzer ab und lief quietschend zurück an Land. In Windeseile zog ich mein Laufshirt und meine Leggings aus und watete durch das immer tiefer werdende Wasser hinter Marc her.
Kurze Zeit später ließen wir uns nebeneinander der Länge nach in den Sand sinken, und nachdem wir ein bisschen belangloses Zeugs ausgetauscht hatten, begann Marc plötzlich, von England zu erzählen.
»Ich werde bald wieder zurückgehen«, meinte er. »Jamie will zwar unbedingt, dass ich auf Usedom bleibe und in seinem Camp trainiere und arbeite, aber das ist keine Alternative für mich. Ich liebe mein Land und kann mir nicht vorstellen, woanders zu leben.«
»Ich dachte, in England läuft es gerade nicht so gut für dich?«, rutschte es mir heraus.
Marc sah mich misstrauisch an. »Wie kommst du darauf?«
Mist! Ich war wirklich selten doof. Clara hatte mich doch extra darum gebeten, Marc nicht zu erzählen, was ich von ihr erfahren hatte. Und kaum wechselte ich drei, vier vernünftige Sätze mit ihm, da verplapperte ich mich auch schon.
»Na … weil du doch jetzt hier bist«, stammelte ich und hätte mich für diese hirnlose Erklärung selbst ohrfeigen können.
Aber Marc gab sich überraschenderweise damit zufrieden. Er nickte geistesabwesend und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. »Ja, zurzeit habe ich wirklich ein paar Probleme…«
Eine Pause entstand, in der ich verzweifelt nach den richtigen Worten suchte.
»Magst du mir davon erzählen?«, brachte ich schließlich hervor.
Marc sah mich nachdenklich an. Es war eigenartig, einerseits hoffte ich, dass er Nein sagte, andererseits hatte ich das Gefühl, unbedingt mehr über ihn erfahren zu müssen als das, was ich schon von Clara wusste.
»Meine Kindheit war eigentlich die Hölle«, begann er unvermittelt. »Mein Dad hat schon immer gesoffen und mit Alk im Blut war er echt kaum auszuhalten. Ich war neun Jahre alt, als Mum starb. Kurze Zeit später verlor mein Dad seinen Job und hörte nun gar nicht mehr auf zu trinken.« Marcs Augen schienen eine Spur dunkler zu werden. »Vorher hatte ich gedacht, dass mein Leben nicht beschissener werden könnte, aber ich wurde schnell eines Besseren belehrt.«
Er seufzte tief. »In mir brodelte eine unbändige Wut, die von Tag zu Tag schlimmer wurde. In der Schule bekam ich einen Verweis nach dem anderen, weil ich immer wieder in Prügeleien geriet. Bis ich eines Tages einen Typen fast krankenhausreif geschlagen habe, nur weil er mich schief angeguckt hat. Mann, ich war wirklich übel drauf damals … Und wenn Jamie und Clara nicht plötzlich aufgetaucht wären und meinem Alten erklärt hätten, dass sie sich ab sofort um mich kümmern würden, wäre es mit mir bestimmt voll in die Hose gegangen.«
»Und dein Vater hat dich einfach so zu Jamie und Clara ziehen lassen?«, wunderte ich mich.
Marc lachte bitter auf. »Kein Ding! Der war froh, mich los zu sein.«
Ich biss mir auf die Unterlippe.
»Jamie hat mich dann
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