Die Tiefen deines Herzens
feststellen.
Das laute Hupen eines Taxis riss mich aus meinen Gedanken. Ich war so mit meiner Suche beschäftigt gewesen, dass ich gar nicht mehr auf den Verkehr geachtet hatte.
Der Taxifahrer fuchtelte wütend mit den Armen in der Luft herum und zeigte mir einen Vogel.
Ich hob entschuldigend die Hände und sprang zurück auf den Bordstein. Schnaufend und mit klopfendem Herzen ließ ich mich auf einen Mauervorsprung sinken.
Es hat keinen Zweck, musste ich mir eingestehen, so werde ich ihn niemals finden. Und dann auch noch zu Fuß und ohne den geringsten Ansatz, wo er sich aufhalten könnte.
Ich fuhr mir durch das Haar und band meine wirren Locken zu einem Zopf zusammen. Dann machte ich mich enttäuscht auf den Rückweg. Meine Absätze klackerten über das Kopfsteinpflaster. Es fröstelte mich ein wenig und ich zog meine Jacke fester um meinen Körper.
Marc ist nicht der Typ, der sich einfach so wegschicken lässt, ging es mir durch den Kopf. Er wird wiederkommen. Ganz bestimmt. Und diesmal werde ich zu Hause sein und verhindern, dass meine Eltern ihn fortjagen.
Eine aufgeregte Anspannung erfasste mich und ich beschleunigte meine Schritte. Auf einmal hatte ich es sehr eilig, nach Hause zu kommen.
Im Schein der Straßenlaterne, wenige Schritte vor Felix’ Haus, bemerkte ich zwei Gestalten. Als ich näher kam, erkannte ich in der etwas kleineren und schmaleren Felix.
Komisch, wunderte ich mich, warum steht er so spät am Abend auf der Straße? Und wer ist da bei ihm? Ich hielt kurz inne, plötzlich von einem mulmigen Gefühl erfasst.
Die beiden wandten sich fast gleichzeitig zu mir um, und als Felix und Marc erstaunt »Leni!« ausriefen, da klang es beinahe wie aus einem Mund.
Marc. Da war er.
Mein Herz machte einen Satz und begann zu hämmern, als er auf mich zukam.
Sein Haar schimmerte im Schein der Laterne pechschwarz, seine Augen funkelten. – Vor Freude? Vor Wut? Worüber hatten Felix und er gesprochen?
Nun bereute ich bitterlich, dass ich Felix nichts von Marc und mir erzählt hatte. Auch wenn ich nicht zu ihm hinübersah, spürte ich, dass sein Blick auf mir brannte.
»Hi, Leni.« Marc lächelte mich an und dann zog er mich in seine Arme. So fest, dass ich mir vorkam wie in einem Schraubstock.
»Marc, hallo, Marc«, stammelte ich atemlos. »Was … was machst du … hier?« Meine Frage klang spröder als beabsichtigt. Sein Lächeln verflog und ein reservierter Ausdruck trat stattdessen in seine Züge.
»Ich wollte dich überraschen, Leni. Aber nun hast du
mich
überrascht.« Er deutete hinter sich.
Verdammt, Felix!
Ich löste mich ein wenig aus Marcs Umarmung, doch auch als es mir gelang, unter seinem Arm hindurchzulinsen, sah ich Felix nicht.
Er war verschwunden. Musste ins Haus gegangen sein.
Was hatte Marc ihm erzählt?!
»Marc«, keuchte ich. »Ich bekomme keine Luft …«
Er ließ mich los und nahm meine Hände. »Tut mir leid, ich hatte wirklich gedacht, es wäre eine gute Idee herzukommen.«
»Aber das verstehe ich nicht …« Ich musste tief durchatmen, bevor ich weitersprechen konnte. »Wie?«
Er lachte. »Ganz einfach, ich bin in London in den Zug, in elfeinhalb Stunden fünfmal umgestiegen und vor gut zwei Stunden am Berliner Hauptbahnhof angekommen. Dort habe ich mich ins erstbeste Taxi gesetzt und hier bin ich. Zum zweiten Mal übrigens.«
Ich war ganz wirr im Kopf. Konnte keinen klaren Gedanken fassen. Einerseits freute ich mich unendlich, Marc zu sehen. Andererseits zog sich mir der Magen schmerzhaft zusammen, wenn ich an meinen besten Freund dachte. Ich trat einen Schritt zurück, damit ich Marc in die Augen schauen konnte. Ängstlich runzelte ich die Stirn. »Was ist mit Felix? Was hast du ihm gesagt?«
Sofort wurde sein Gesicht wieder ernst. »Felix? Wer ist das?« Doch dann schien er selbst die Antwort darauf gefunden zu haben. »Ach, du meinst den Typen, mit dem ich mich gerade unterhalten habe.«
Ich nickte.
»Er hat mich angesprochen, weil ich seiner Meinung nach schon zu lange im Dunkeln vor deinem Haus herumgestanden hätte«, erklärte er leicht spöttisch. »Hält sich wohl für deinen Beschützer oder so.«
»Beschützer?«
Er nickte. »Ich hab ihm aber unmissverständlich klargemacht, dass er dich vor mir nicht beschützen müsste.«
Ich starrte ihn einen Moment verständnislos an, ehe ich begriff. Das Blut wich mir aus dem Gesicht und ich keuchte erschrocken.
Marc legte den Kopf schief und bedachte mich mit einem unergründlichen Blick. »Er hat
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