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Die Tigerin

Die Tigerin

Titel: Die Tigerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carter Brown
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zwar erst den ersten Tag hier, aber trotzdem habe
ich bemerkt, wie tief es den Doktor getroffen hat. Glauben Sie nicht, es wäre
wesentlich besser, wenn Sie ihn mit seinem Schmerz und seiner Arbeit allein
ließen ?«
    »Süße...« Ich lächelte
liebenswürdig. »Wenn Sie jetzt nicht das Telefon nehmen und ihm sagen, daß ich
hier draußen warte, wird das sehr wahrscheinlich nicht Ihr erster, sondern auch
Ihr letzter Tag hier gewesen sein. Nicht, daß ich Ihre schönen Gefühle nicht zu
schätzen wüßte — das tue ich durchaus. Ich meine sogar, Sie sollten der Welt
erhalten bleiben, zum Beispiel eingeweckt oder auf eine Flasche gezogen .«
    Sekundenlang waren ihre Lippen
weiß, während sie nach dem Telefonhörer griff. Nach einigen Augenblicken legte
sie wieder auf und starrte mich finster an. »Der Doktor empfängt Sie sofort,
Lieutenant .«
    Ich schlenderte von ihrem
Schreibtisch weg und zündete mir eine Zigarette an. Fünf Minuten später öffnete
sich die Tür zu Thorros Behandlungszimmer, und er
geleitete eine übermäßig dicke, auffällig angezogene und reichlich angejahrte
Dame hinaus, die in kindlicher Weise auf ihn einschwatzte, als wäre er ihr
Lieblingspekinese. Als er sie schließlich losgeworden war, nickte er kurz und
lud mich mit einer Handbewegung in sein Behandlungszimmer ein.
    Nachdem wir eingetreten waren,
schloß er die Tür und begab sich zu dem Stuhl hinter seinem Schreibtisch. Er
hatte diesmal einen olivfarbenen Gabardineanzug an und sah wie immer wie aus
dem Ei gepellt aus. Er starrte mich einen Augenblick lang an und fuhr sich gereizt
mit der Hand durch das kurzgeschnittene graue Haar.
    »Haben Sie etwas Neues auf
Lager, Lieutenant ?« fragte er rundheraus.
    »Ich weiß nicht«, sagte ich.
»Ich hoffe, daß Sie mir etwas berichten können .«
    »Möglicherweise, wenn Sie
aufhören, hinter dem Berge zu halten, und anfangen, Vernunft walten zu lassen.«
    Ich ließ mich in einem
bequemen, mit Schaumgummi gepolsterten Sessel nieder und zündete mir eine neue
Zigarette an. »Ihr Verhältnis zu Miss Kains war sehr
eng, Doktor, nicht wahr ?«
    »Das habe ich Ihnen doch schon
erzählt .«
    »So eng, daß Sie mir sagen
können, ob sie Sie hintergangen hat?«
    Das bleiche asketische Gesicht
wurde langsam dunkel, und die schlanken sensiblen Finger trommelten sanft auf
die Schreibtischplatte. Seine Augen waren kälter als ein Polarnebel, während er
mich anstarrte.
    »Sind Sie verrückt ?« Er spie die Worte beinahe gegen mich.
    »Kann schon sein .« Ich zuckte die Schultern. »Frank Corben hat heute vormittag behauptet, daß Miss Kains eine Art Doppelleben geführt hat — daß sie
gleichzeitig mit Ihnen und einem anderen Kerl ein Verhältnis gehabt hat .«
    »Das ist absurd .«
    »Wenn Sie das sagen. Ich möchte
nur sichergehen«, sagte ich höflich.
    Er legte die Hand an den Mund
und knabberte mit seinen kräftigen weißen Zähnen an dem langen Pflasterstreifen
an seinem Finger.
    »Falls es Ihnen möglich ist,
die Sache einmal leidenschaftslos zu überlegen, Doktor«, schlug ich vor, — »könnten
Sie versuchen, sich die letzten zwei Monate ins Gedächtnis zurückzurufen?
Können Sie sich irgendeiner Gelegenheit entsinnen, bei der Miss Kains Entschuldigungen gebrauchte, weil sie eine gewisse
Zeit nicht mit Ihnen zusammen sein konnte ?«
    »Selbstverständlich nicht«,
sagte er, und schlug mit der Hand auf den Tisch. »Es ist einfach lächerlich —
Bernice hat nie... Sie wissen so gut wie ich, daß Corben ein Psychopath mit einer Neigung zu Gewalttätigkeit ist. Er behauptet alles und
jedes, um...« Seine Stimme verklang, während seine Zähne mit steigender Intensität
an seinem Pflaster nagten. »Ich entsinne mich, daß sie an scheußlichen Migränen
litt. Es gab Zeiten, in denen ich sie frühzeitig nach Hause gehen lassen mußte,
damit sie liegen und sich ausruhen konnte. Ich entsinne mich einiger
aufeinanderfolgender Wochenenden — aber es ist absurd, sie mit Derartigem in
Verbindung zu bringen .«
    »Hätten Sie gemerkt, ob sie die
Migränen nur vortäuschte, Doktor ?« forschte ich
freundlich.
    »In den frühen Stadien nicht«,
sagte er finster. »Während der Höhepunkte kann man mit Sicherheit sagen, ob
einem jemand etwas vormacht oder nicht. Da ist die Blässe, eine leichte
Veränderung der Pupillen — . Es ist einfach lächerlich !«
    »Aber es gab Gelegenheiten — falls
sie hinsichtlich ihrer Migräne gelogen hat — , bei
denen sie mit einem anderen hätte zusammen sein

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