Die Time Catcher
bekommen.
Als wir die Lafayette Straße Ecke Franklin erreichen, stürzen plötzlich Zweifel auf mich ein. Ich frage mich, ob es nicht ein Riesenfehler ist, zum Hauptquartier zurückzukehren. Ich meine, wenn man von einer Spinne belauert wird, muss man sich ja nicht freiwillig in ihr Netz begeben. Und in meinem Fall handelt es sich sogar um zwei Spinnen. Doch Abbie zufolge halten sich Onkel und Mario heute Nacht im Trainingszentrum auf, sodass ich ihnen hier nicht begegnen werde.
Schweigend gehen wir die Straße entlang. Ich bin ein einziges Nervenbündel und werde immer schreckhafter, je näher wir dem Hauptquartier kommen. Ein Schwall von Panik steigt in mir auf und droht mich zu ersticken.
Ganz ruhig, sage ich mir, und atme drei Mal tief durch. Als ich das letzte Mal die Luft entweichen lasse, sind wir am Ziel.
Wir betreten das Gebäude und der Lift wartet schon auf uns. Ich drücke den Knopf für den vierten Stock, doch nichts passiert.
Abbie und ich strecken unsere Hände gleichzeitig nach dem Knopf aus, um ihn erneut zu drücken, und berühren uns dabei. Abbies Hand fühlt sich sanft und warm an. Ich frage mich, ob es ein Versehen war oder ob sie es darauf angelegt hat. Sie fasst sich rasch an den Kopf und fährt sich mit den Fingern durchs Haar, als wolle sie sagen: Das war keine Absicht, mach dir bloß keine Gedanken! Aber zu spät. Ich könnte über diesen kurzen physischen Kontakt bereits Romane verfassen.
»J a, ja, ich komme ja schon«, grummelt Phoebe. »I hr braucht nicht weiter auf den Knopf zu hämmern.« Wäre es eine menschliche Person, würde ich tippen, dass wir sie gerade aus dem Schlaf gerissen haben. Auf dem Monitor sieht man ein leeres Bett mit zerwühlter Bettwäsche. Im Hintergrund rauscht eine Toilettenspülung.
»H allo, Phoebe«, sagt Abbie betont fröhlich, obwohl Phoebe noch gar nicht auf dem Bildschirm erschienen ist.
»W isst ihr eigentlich, dass es fast zwei Uhr morgens ist?«, fragt Phoebe. »W as wollt ihr?«
»W ir wollen in den vierten«, antwortet Abbie.
Es vergeht eine Minute ohne die geringste Reaktion. Als ich mich schon frage, ob Phoebe uns ignoriert, schließt sich die Tür des Aufzugs, der anschließend ruckartig Fahrt aufnimmt. Phoebe erscheint in einem flauschigen rosa Bademantel und lila Pantoffeln mit Eselsgesichtern. Ihre Haare sind zerzaust und ihre Augen dunkel umrandet.
Im vierten Stock steigen wir aus und gehen den Flur entlang. Als wir Abbies Computer erreichen, ist ihr Bildschirm bereits in Betrieb.
»H allo, Phoebe«, sagt Abbie.
»D as hast du schon gesagt«, gibt Phoebe ungehalten zurück. »A ber vielleicht ist der zweite Gruß ja stellvertretend für deinen stummen Begleiter gemeint. Caleb, der Wüstenprinz. Hast du wirklich gedacht, ich würde dich übersehen? Oder wolltest du nur so höflich sein und Abbie für euch sprechen lassen? Wirklich sehr rücksichtsvoll. Wie bist du so schnell aus der Wüste zurückgekehrt? Hat man dich begnadigt?«
»P hoebe, wir brauchen deine Hilfe«, sage ich und setze mich auf einen Stuhl vor den Monitor. Abbie nimmt auf dem anderen Platz und dreht sich langsam hin und her.
Phoebe trägt jetzt ihre übliche Businessgarderobe: Hosenanzug, Designerbrille, hochgesteckte Haare und teure italienische Schuhe. Nur ihre eingeschnappte Miene hat sich nicht verändert.
Dann höre ich plötzlich ein Geräusch, das sich wie ein quietschendes Getriebe oder wie eine schreiende Katze anhört. Phoebe lacht. »I ch würde euch ja gerne helfen, aber ich habe einen Friseurtermin und bin schon spät dran.« Die letzte Bemerkung lässt sie erneut auflachen.
Ich nicke Abbie zu. Sie hört auf, sich zu drehen, und rollt nahe an den Bildschirm heran.
Ihre Finger schweben für einen Moment über der Tastatur, ehe sie wie wild zu tippen beginnt. Mathematische Gleichungen und Symbole erscheinen in rascher Folge auf dem Bildschirm, verschwinden wieder und weichen neuen mathematischen Gleichungen und Symbolen.
»W as tust du da?«, fragt Phoebe mit einem Anflug von Skepsis in ihrer Stimme.
»N ichts Besonderes«, lügt Abbie. Auf dem Weg hierher hat sie genau erklärt, was sie vorhat. »I st wirklich ein Kinderspiel«, hat sie gesagt. »I ch muss nichts weiter tun, als einen Pseudocode-Algorithmus zu benutzen, den Mario entwickelt hat, und ein Programm namens P-hyp starten. P-hyp veranlasst Phoebe, in einen Zustand zu verfallen wie Menschen unter Hypnose.«
Scheint mir ein ziemlich kompliziertes Kinderspiel zu sein. Nach dem ersten
Weitere Kostenlose Bücher