Die Time Catcher
Schloss in Schottland«, antwortet sie.
Das überrascht mich. Ich hätte wetten können, dass sie sich für einen Strandurlaub entscheidet. Aber dann fällt mir ein, dass es dort jede Menge Spiegel gibt, was auf Lydia natürlich eine magische Anziehungskraft ausübt.
»A usgezeichnet. Nassim wird dir bei den Vorbereitungen behilflich sein. Caleb, wenn dir immer noch unwohl ist, kannst du den Raum jetzt verlassen.«
»D anke, Onkel«, sage ich und stehe auf.
»B ú yòng xiè. Gern geschehen, Caleb«, erwidert er. »M ario wird ein Dessert für dich aufheben, das du später essen kannst, wenn es dir wieder besser geht.«
Mario, der Onkel stets zu Diensten ist, springt sofort auf und läuft in die Küche. Als ich für eine Sekunde Blickkontakt mit Abbie habe, sehe ich Erstaunen und Verwirrung in ihren Augen. Kapiert sie denn nicht, warum ich hier wegwill?
Als ich an der Küche vorbeieile, streckt Mario seinen piào liàng Kopf heraus.
»I ch hoffe, dass es nicht an mir liegt«, sagt er mit dämlichem Grinsen.
Er liebt es, mich zu provozieren, sodass ich ihn schubse oder anschreie oder irgendetwas anderes tue, das er gegen mich verwenden kann. Aber diesen Gefallen werde ich ihm jetzt nicht tun. Ich blicke starr geradeaus und lasse ihn links liegen. Doch spüre ich seinen Blick in meinem Rücken, bis ich den Schlafraum erreiche.
Ich lasse mich aufs Bett fallen und ziehe meine Schnitzarbeit darunter hervor. Sie gefällt mir jetzt überhaupt nicht mehr. Am liebsten würde ich sie gegen die Wand schleudern, um zu sehen, was härter ist, das Stück Holz oder das Mauerwerk. Doch stattdessen lege ich das Stück Holz zurück und vergrabe mein Gesicht im Kissen.
Irgendwann muss ich eingeschlafen sein, denn als ich aufwache, scheint das Sonnenlicht durch die Lamellen der Jalousie. Das Schnarchen von oben signalisiert mir, dass Raoul immer noch schläft. Marios Matratze ist leer. Ich schwinge meine Beine über die Kante und stapfe ins Badezimmer. Blicke in den Spiegel und fahre mit den Fingern durch meine zottigen Haare, die definitiv zu lang geworden sind. Ich könnte einen Haarschnitt vertragen. Vielleicht nach dem nächsten Auftrag.
Verdammt, den hätte ich fast vergessen! Ich muss heute nach London, zur Operation Regenschirm, wie Abbie sie nennt. Dort werde ich mit ihr zusammentreffen. Aber wann? Ich habe nicht den leisesten Schimmer. Ich putze mir die Zähne, gehe zur Kleiderkammer und finde ein Kleidungsstück, das schon für mich bereitliegt. Ein knöchellanger Kaftan? Der wäre mir vielleicht in der Wüste von Nutzen, aber wohl kaum im London des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Ich überlege kurz, ob ich Nassim danach fragen soll, lasse es aber bleiben – er ist sehr gewissenhaft, also wird er auch einen guten Grund dafür haben, mir dieses Gewand mitzugeben.
Ich kehre ins Schlafzimmer zurück und schlüpfe in den Kaftan, bis nur noch meine Sandalen zu sehen sind.
Als Nächstes lege ich einen Zwischenstopp in der Küche ein, um ein Glas Orangensaft zu trinken und ein paar Toasts zu essen. Während ich es mir schmecken lasse, werfe ich einen Blick auf den Zettel, der an der Kühlschranktür hängt. Heute bin ich dran mit Kochen. Zugegeben, nicht gerade eine meiner Stärken. Auf der Liste meiner Lieblingsbeschäftigungen rangiert Kochen nicht mal an zweiter, dritter oder vierter Stelle, sondern ziemlich weit unten, direkt über dem Sprechen des Tischgebets. Leider interessiert das Onkel nicht im Geringsten.
Mit düsteren Vorahnungen öffne ich die Kühlschranktür. Aber die Lage ist besser als erwartet. Es gibt drei, vier verschiedene Gemüsesorten und jede Menge fertige Nudelsoßen. Daraus wird vielleicht kein Festmahl, aber zumindest irgendwas Essbares.
»D u hast da was im Gesicht«, sagt eine Stimme.
»G uten Morgen, Phoebe«, entgegne ich und nehme mir eine Serviette.
Während ich mir den Mund abwische, werfe ich einen Blick auf den Monitor an der Wand. Phoebe trägt heute ein schwarzes Abendkleid, das mit kleinen Edelsteinen verziert ist, sowie eine passende Handtasche.
»H ast du Abbie gesehen?«, frage ich.
»S ag mir zuerst, wie du mein Outfit findest?«, erwidert sie.
Normalerweise kümmere ich mich nicht um die Garderobe von Computerwesen, doch wenn ich nicht darauf eingehe, wird sie mir niemals antworten.
»S ehr hübsch«, antworte ich.
»S prich weiter«, fordert sie mich auf. »W as noch?«
»S ehr hübsch und so … schillernd«, füge ich hinzu.
Phoebe runzelt die Stirn.
»M acht
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