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Die Time Catcher

Die Time Catcher

Titel: Die Time Catcher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ungar
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Offenbar hat er die Fahne nicht mitgerechnet. Aber warum nicht?
    »B evor wir mit den Sätzen beginnen, die ihr vorbereiten solltet«, fährt Onkel fort, »m öchte ich euch eine kurz Geschichte erzählen.«
    Ich rutsche auf meinem Stuhl hin und her. Das wird ein langer Abend werden. Egal was er sagt, Onkels Geschichten sind nie kurz.
    »E s handelt sich um eine wahre Geschichte«, sagt Onkel. »M anche von euch haben sie vielleicht schon mal gehört. Es ist die Geschichte der Anfänge von Edles für die Ewigkeit. «
    Wir nicken alle. Jeder von uns hat die Geschichte schon mindestens eine Million Mal gehört. Doch sie gehört nun mal zu seinen absoluten Lieblingsstorys, und es wäre äußerst unklug, ihn darauf hinzuweisen.
    »A ls ich ein junger Mann war, kaum älter als ihr jetzt seid«, beginnt Onkel, »b in ich oft spätabends noch durch den Central Park gestreift, auf der Suche nach Abenteuern.«
    Auf der Suche nach einer Gelegenheit zum Stehlen, meint er.
    »E ines Abends«, fährt er fort, »s ah ich eine alte Frau auf einer Bank sitzen. Sie sah nicht anders aus als all die anderen verwirrten Leute, denen ich auf meinen nächtlichen Wanderungen begegnete – ihre grauen Haare waren verfilzt, ihre Kleider ein einziges Sammelsurium. Im Einkaufswagen, der neben der Bank stand, befand sich ihre gesamte Habe. Ich näherte mich ihr mit ausgestreckten Händen. Das ist bei solchen Leuten sehr wichtig, wisst ihr, weil manche von ihnen extrem lange Fingernägel haben und sich auch nicht scheuen, diese zu benutzen, wenn sie sich bedroht fühlen.
    Die Alte war nicht besonders froh, mich zu sehen. Ich erinnere mich noch genau an die gelben Zähne, die ihr das Aussehen eines verschreckten Tieres verliehen, das mich anknurrte, damit ich verschwinde.«
    »W as hast du dann getan, Onkel?«, fragt Lydia. Ich verstehe einfach nicht, warum sie ihm immer wieder diese Frage stellt. Wir wissen alle ganz genau, was er dann getan hat.
    »T ja, Lydia«, antwortet Onkel, »n ormalerweise hätte ich den Park in diesem Moment verlassen, doch plötzlich fiel mir auf, dass sich die Hand der alten Frau um irgendeinen Gegenstand geschlossen hatte und dass sie scheue Blicke auf ihre Faust warf, als hätte sie etwas zu verbergen. Mir war klar, dass es sich um etwas sehr Wichtiges handeln musste. Also nahm ich mir vor, nicht lockerzulassen, ehe ich nicht herausgefunden hatte, was es war.«
    »W ie hast du sie dazu gebracht, es dir zu zeigen, Onkel?«, fragt sie.
    Hätte ich keine Angst, dass Onkel meine Nachricht abfängt, würde ich Lydia per Gedankenübertragung mitteilen, was ich von ihren albernen Fragen halte.
    Doch Onkel scheinen sie nichts auszumachen. Er lächelt sie an und fährt fort.
    »I ch zog eine Dollarmünze aus meiner Tasche und sagte, ich würde sie ihr geben, wenn sie mir dafür zeigt, was sich in ihrer Hand befindet. Ich weiß, was ihr jetzt denkt, meine Freunde – warum ihr etwas für nichts geben? Doch sollte ich etwas von der alten Frau bekommen, was den einen Dollar allemal wert war.
    Sie war allerdings weiterhin ziemlich misstrauisch, also habe ich die Münze neben sie auf die Bank gelegt. Und stellt euch vor, sie hat sich die Münze blitzschnell geschnappt und sofort in ihren Kleidern verschwinden lassen.«
    »H at sie dir gezeigt, was sie in der Hand hielt?«, fragt Lydia.
    »N icht gleich«, antwortet Onkel. »S ie hat mich sogar erneut angefaucht, dass ich verschwinden solle. Aber ein Handel ist ein Handel, und ich wollte natürlich nicht nachgeben, ehe nicht auch sie ihren Beitrag geleistet hatte. Da sie es nicht freiwillig tun wollte, musste ich eben ein bisschen nachhelfen, um ihre Finger zu öffnen. Was bei so alten, gebrechlichen Fingern ja kein großes Problem ist.«
    Ich schaudere. Dieser Teil der Geschichte bereitet mir stets ein mulmiges Gefühl.
    »S chließlich sah ich also, ihr Lieben, was diese alten arthritischen Finger umfasst hielten. Es war ein vergilbtes, zerknittertes Blatt Papier, das zwei Mal gefaltet war. Als ich es öffnete, sah ich, dass es sich um einen Werbezettel der Radio City Music Hall handelte. Es war die Ankündigung der legendären Weihnachtsshow mit den Rockettes.
    Obwohl der Reklamezettel ziemlich alt war, konnte man das Bild darauf noch gut erkennen: Es zeigte ungefähr ein Dutzend langbeinige, knapp bekleidete Tänzerinnen, die wie Störche auf einem Bein standen. Über ihren strahlenden Gesichtern leuchteten die Scheinwerfer der Radio City Music Hall. Eine der Tänzerinnen war

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