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Die Time Catcher

Die Time Catcher

Titel: Die Time Catcher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ungar
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der einfachen Gebete sind wir schon lange durch. Deshalb sage ich einfach das Erstbeste, was mir in den Sinn kommt.
    »W ie ich weiß, ist der Reis heute sehr heiß. Amen.«
    Nassim öffnet den Mund, als wolle er etwas sagen, bleibt jedoch stumm.
    Mario steht auf. »A bbie, würdest du mir helfen, die Pekingente zu servieren?«
    Sie springt auf, als hätte man ihr glühende Kohlen unter den Po geschoben. »D u hast Pekingente gemacht, Mario? Du bist genial!«
    Sie findet ihn offenbar großartig, weil er einen toten Vogel grillen kann – na und? Doch es ist nicht das erste Mal, dass Abbie die Wörter Mario und genial in einem Atemzug nennt. Warum immer alle von Mario so beeindruckt sind, gehört zu den Top-Ten der größten Menschheitsgeheimnisse (genauer gesagt rangiert es auf Platz vier, zwischen Stonehenge und den Pyramiden). Vielleicht liegt es an seinem Aussehen. Angesichts seiner vielen Muskeln und Zähne ist es schon möglich, dass er bei Frauen als gut aussehend gilt. Nicht dass er mehr Zähne hätte als der Durchschnitt – sie sind nur strahlend weiß. Oder es liegt daran, dass er gerne als der große Macker dasteht. Aber ich habe ihn durchschaut: Er ist einzig und allein an sich selbst interessiert. Und wenn er jemanden entdeckt, den er als Bedrohung empfindet, dann bekämpft er ihn mit allen Mitteln.
    Ich fläze mich auf meinem Platz. Obwohl ich Mario nicht ausstehen kann, muss ich doch zugeben, dass ihm alles gelingt, was er anpackt – auch beim Kochen. Und im Zuge der Großen Freundschaft hat er sein Repertoire offenbar um chinesische Rezepte erweitert.
    Eine Minute später kommt er mit einer großen Platte zurück, auf der eine glänzende knusprig gebratene Ente liegt. Abbie ist direkt hinter ihm und trägt einen Teller mit Pfannkuchen sowie eine Soßenschüssel.
    Mario beginnt damit, das Geflügel fachmännisch zu tranchieren. Ehrlich gesagt bin ich überrascht, dass Onkel dieser Mahlzeit zugestimmt hat. Die Ente muss ein Heidengeld gekostet haben.
    Plötzlich richtet Mario sich stocksteif auf seinem Platz auf. Im nächsten Moment höre ich zackige, militärisch exakte Schritte, die auf uns zukommen. Es gibt nur eine Person, die so einen Gang hat.
    »G uten Abend allerseits«, sagt Onkel, als er in den Raum marschiert. Er trägt einen leuchtend gelben Seidenumhang, dessen Ärmel von roten Drachen geziert werden. Es handelt sich um einen Hanfu, wie er schon oft erklärt hat, einen Umhang also, wie ihn die chinesischen Herrscher früherer Zeiten getragen haben. Aber das ist noch nicht alles. Auf dem Kopf sitzt ihm ein lustiger schwarzer Hut, der an die Kopfbedeckungen erinnert, die ehemaligen Doktoranden an der Universität überreicht werden. An der Vorder- und Rückseite der Mütze hängen lange Perlenschnüre hinab. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, trägt er das großartigste Schwert am Gürtel, das ich je gesehen habe: Unterhalb der blitzenden Klinge befindet sich ein Griff, der aus schimmerndem schwarzen Holz gefertigt und über und über mit Rubinen und Smaragden besetzt ist.
    »G uten Abend, Onkel«, antworten wir im Chor.
    Er legt seinen Kopf in den Nacken und atmet tief ein. »H errlich!«, sagt er. »W er ist für diesen wundervollen Duft verantwortlich?«
    »M ario hat heute Abend gekocht, Chef«, erklärt Nassim.
    »A usgezeichnet«, erwidert Onkel, nimmt am Kopfende des Tisches Platz und macht sich über die Mahlzeit her.
    Wir essen schweigend. Wenn Onkel unter uns ist, muss man darauf achten, vor ihm fertig zu sein, denn er mag es nicht, wenn Leute essen, während er spricht. Das Problem besteht darin, dass er ein so schneller Esser ist und man oft Mühe hat, mit ihm mitzuhalten.
    Während ich also mein Essen hinunterschlinge, blicke ich immer wieder verstohlen zu ihm hinüber, um mich zu vergewissern, wie weit er bereits ist. Beim dritten Mal tupft er sich bereits mit der Serviette den Mund.
    »E in wundervolles Mahl!«, verkündet er. »K ompliment an den Koch.« Er nickt Mario zu.
    »D anke, Onkel«, sagt Mario strahlend.
    »A ber nein, ich danke dir, Mario!«, entgegnet Onkel. »W isst ihr schon«, fragt er in den Raum hinein, »d ass Mario nicht nur ein ausgezeichneter Koch ist, sondern in diesem Monat bereits fünfzehn Catches erledigt hat?«
    Während alle anderen »O h« und »A h« machen, fange ich an zu rechnen. Inklusive der großen Freundschaftsfahne kommt Mario meines Erachtens auf sechzehn Diebstähle, zwei weniger als ich. Doch Onkel hat von fünfzehn gesprochen.

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