Die Time Catcher
dich auch sehr schlank«, sage ich rasch.
Es folgt ein Moment der Stille, in dem sie ganz bestimmt den Komplimentanteil meiner Antwort analysiert.
»G ut, ich glaube, das genügt«, stellt sie schließlich fest. »D ann werde ich jetzt deine Frage beantworten: Abbie ist soeben nach London aufgebrochen.«
»O kay, danke«, sage ich und will aus der Küche eilen.
»A ber wenn ich du wäre«, fährt Phoebe fort, »w ürde ich nicht so überstürzt aufbrechen.«
»W arum nicht?«
»S ieh doch mal, wie du angezogen bist.«
Ich denke einen Moment nach, ehe ich das Gespräch fortsetze. Phoebe liebt es nun mal, jeden in Diskussionen zu verstricken, und geht man auch nur ein bisschen darauf ein, wird man sie nicht wieder los. Ich bereue schon, ihr überhaupt guten Morgen gewünscht zu haben.
»D anke, ich weiß deinen Rat zu schätzen«, entgegne ich schließlich.
»S o, du weißt meinen Rat zu schätzen«, sagt sie. »U nd was soll diese neunmalkluge Antwort bedeuten? Ich glaube kaum, dass es ausreicht, meinen Rat zu schätzen. Zumindest dieses Nachthemd solltest du hierlassen.«
Mit einem Lächeln spaziere ich zur Feuertreppe. Ein Zeitsprung lässt sich im Freien viel leichter bewerkstelligen als drinnen. Onkel sagt, es hat damit zu tun, dass dieses Gebäude, wie so viele andere in Tribeca und SoHo, hinter dem Mauerwerk gusseiserne Träger hat. Und offenbar schirmt dieses Gusseisen die Frequenz ab, die für die Zeitreisen nötig ist. Ich bin kein absoluter Experte, aber wäre es für jemanden, der professionellen Zeitreisendiebstahl betreibt, nicht sinnvoller, einen Ort zu finden, der zeitreisenfreundlicher ist?
Ich will gerade auf mein Handgelenk klopfen, als mir einfällt, dass ich etwas vergessen habe. Rasch laufe ich wieder ins Haus.
»S chon wieder da?«, fragt Phoebe kichernd.
»P hoebe, könntest du mir bitte die Daten für meine heutige Mission senden.«
Nach kurzer Bedenkzeit antwortet sie: »K önnte ich schon, aber so einfach geht das nicht.«
Ich stoße ein unwillkürliches Schnauben aus. »W as soll das heißen? Das ist doch dein Job!« Ich bereue diese Worte schon, während ich sie ausspreche.
»I ch weiß deinen Rat zu schätzen«, äfft sie mich nach.
Bleib ganz ruhig! Zähl bis zehn, das hilft meistens. Nachdem ich die Neun längst hinter mir habe, signalisiert mir ein kurzer Piepton an meinem Handgelenk, dass die Daten für meine heutige Mission hochgeladen wurden.
»D anke, Phoebe!« Als ich die Feuertreppe betrete, ist mir, als hörte ich von ferne Phoebes Entgegnung, doch ich kann sie nicht verstehen. Vielleicht hat sie »g ern geschehen« oder aber irgendeine Beleidigung von sich gegeben, die sich so ähnlich anhört.
28. August 2006, 10:44 Uhr
Kensington, London
Operation Regenschirm
A ls ich langsam die Augen öffne, sehe ich Ziegelmauern, Kopfsteinpflaster und einen Streifen Himmel. Ich bin in einer kleinen Gasse gelandet.
Es ist ein gutes Gefühl, wieder auf einer Mission zu sein. Ich atme tief ein und trete auf den Bürgersteig. Es ist mitten am Vormittag und ich bin bereits in Schweiß gebadet. Das Sträßchen, an dem sich kleine Läden und Kneipen aneinanderreihen, ist mit Passanten bevölkert. Die Kneipe, die mir am nächsten ist, heißt Lazy Lizard Pub, symbolisiert durch eine Eidechse, die sich in einer Hängematte räkelt. Rechts daneben befindet sich der Stinky Cheese Shop, der seinem Namen alle Ehre macht.
Dann erinnere ich mich. Natürlich, der Käseladen! Hier sollte ich mich mit Abbie treffen. Ich habe ihn fast erreicht, als mir jemand auf die Schulter klopft.
»H allo, Cale«, sagt Abbie lächelnd. »N a, was meinst du?«
Warum fragen mich immer alle, was ich von ihrer Garderobe halte? Erst Phoebe und jetzt Abbie. Ich bin doch kein Modeguru. Weit entfernt.
Abbie dreht sich einmal langsam im Kreis. Sie trägt einen marineblauen Hosenanzug mit Nadelstreifen sowie eine Hornbrille. Um das Bild abzurunden, hat sie ihre kastanienbraunen Haare zu einem akkuraten Knoten hochgesteckt. Wüsste man nicht, dass sie eine 13-jährige Vollwaise ist, die sich auf einer Zeitreise befindet, könnte man sie glatt für die 18-jährige Assistentin eines Geschäftsmanns halten. Dennoch wäre diese Verkleidung nicht meine erste Wahl für den Catch in einer Regenschirmfabrik.
Doch eines muss ich zugeben. Abbies Outfit macht sie irgendwie … weiblicher. Falls sie mich ein wenig durcheinanderbringen wollte, ist ihr das perfekt gelungen.
»S ehr … äh … chic«, sage ich und
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