Die Time Catcher
Spiegelbildgesicht in der Scheibe sehe, das mir einen bösen Blick zuwirft.
Fall in Ohnmacht!, kommandiert sie per Gedankenübertragung.
Ich falle in Ohnmacht. Es ist wirklich eine kleine Glanznummer, die ich hinlege: Ich falle um wie ein Baum, krache mit dem Ellbogen direkt auf den Bürgersteig und schramme mir mein Knie auf.
Ein korpulenter Mann eilt sofort herbei und hilft mir auf die Beine. Ein zweiter Mann, der Hosenträger und eine schmale braune Krawatte trägt, läuft aus dem Schirmgeschäft, um ebenfalls zu helfen. Aus meinem »k öniglichen« Augenwinkel heraus sehe ich, wie sich Abbies Stirnrunzeln in ein verhaltenes Lächeln verwandelt.
»A lles in Ordnung, Exzellenz?«, fragt sie.
»N ati, Nati«, antworte ich stotternd.
»S ie müssen sich drinnen ein bisschen hinsetzen, Exzellenz.« Abbie nimmt mich am Arm. Als sie mich berührt, durchfährt mich ein Kribbeln, was mich erstaunt und ein wenig verlegen macht. Aber ich glaube, sie merkt nichts davon, weil sie viel zu sehr mir ihrer eigenen Darbietung beschäftigt ist.
»S ir, wären Sie so freundlich, mir zu helfen?«, fragt sie den Mann mit den Hosenträgern.
»A ber natürlich, Miss.« Er nimmt meinen anderen Arm, und gemeinsam führen sie mich in den Laden hinein. Ich spiele natürlich weiterhin die Rolle des Adeligen, der unter Schwindelgefühlen leidet, und schwanke ein wenig hin und her, ehe ich mich mit ihrer Hilfe auf einen Stuhl sinken lasse.
Überall sind Schirme zu sehen: Sie hängen an den Wänden und von der Decke, drängen sich in Ständern und nehmen jeden freien Platz ein. Große und kleine. In allen Regenbogenfarben. Es gibt sogar einen Schirm, der mit dem Stadtplan von London bedruckt ist.
»E s tut mir leid, wenn ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereite«, entschuldigt sich Abbie beim Ladenbesitzer, »a ber Seine Exzellenz hat eine sehr labile Gesundheit, die es ihm nicht erlaubt, sich lange in der Sonne aufzuhalten.«
»O hi. Cinci«, bestätige ich.
Der Ladenbesitzer schaut mich mit großen Augen an und murmelt Abbie gerade laut genug zu, dass ich ihn verstehen kann: »U nd er spricht kein Englisch? Ist der Junge denn in seinem eigenen Land … wie soll ich sagen … eine bedeutende Persönlichkeit?«
Sie schaut ihm in die Augen und flüstert: »B is vor zwei Wochen noch nicht. Doch unversehens ist sein älterer Bruder, der König von Molwanien, gestorben.«
»D er König von … ach, wirklich?«, raunt der Ladenbesitzer, dessen Augen noch größer geworden sind als zuvor. Er tritt rasch vor die Tür und dreht das Schild daran auf Geschlossen.
»E ine überaus traurige Begebenheit. Er starb an … einer Überdosis Sonnenschein«, erklärt Abbie.
»U m Gottes willen, das ist ja furchtbar«, entgegnet der Ladenbesitzer.
»S o ist es leider gewesen. Doch keine Sorge. Abgesehen von seiner Sonnenempfindlichkeit befindet sich Seine Exzellenz in blendender Verfassung.«
Abbie lässt ihren Blick ungeduldig durch den Raum schweifen. Ich muss zugeben, dass sie ihre Rolle hervorragend spielt. Es wäre mir allerdings recht, wenn sie ein bisschen schneller auf den Catch zusteuern würde.
Der Ladenbesitzer bricht die Stille zuerst. »W ir haben ja eine Reihe von Schirmen, Miss, die Ihrem … ich meine, Seiner Exzellenz durchaus gefallen könnten.«
»D as ist sehr großzügig«, sagt Abbie lächelnd. »D och fühlen Sie sich nicht verpflichtet, Seiner Exzellenz einen Schirm zu schenken .«
»C in, cinnat, nati«, stimme ich aus ganzem Herzen zu.
»N un, an Schenken hatte ich eigentlich auch nicht …«, beginnt der Ladenbesitzer.
Doch Abbie hat bereits den Laden durchquert. Sie nimmt einen grünen Schirm mit aufwendig verziertem Griff aus einer Glasvitrine und begutachtet ihn.
Das ist er, Cale!, gibt sie mir per Gedankenübertragung zu verstehen. Zum Ladenbesitzer sagt sie: »I ch denke, dieser Schirm wäre akzeptabel.«
Der Ladenbesitzer erbleicht. »O h, nein, bitte nicht diesen, Miss. Das ist ein Unikat, müssen Sie wissen, ein Frederick Blackman. Die Initialen sind hier in den Griff eingeschnitzt. Es gibt auf der ganzen Welt nur noch eine Handvoll Frederick Blackmans und nur noch einen einzigen in dieser Farbe. Beim Nachlassverkauf von Randolph Churchill haben wir ihn für einen Apfel und ein Ei erworben. Vielleicht hat ihn Winnie sogar selbst mal benutzt. So leid es mir tut, aber dieser Schirm ist leider unverkäuflich. Wie wäre es mit einem sehr schönen …«
»D arf ich Sie fragen, welche Sicherheitsstufe bei Ihnen
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