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Die Time Catcher

Die Time Catcher

Titel: Die Time Catcher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ungar
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funktioniert es nicht. Und meine zitternden Beine verraten mich sowieso. Ich presse die Hände auf meine Knie, um sie zu beruhigen.
    Schließlich dreht sich Onkel zu mir um und lächelt mich strahlend an.
    »A hhh, Caleb. Z ă o shàng hăo! «
    Ich muss zugeben, dass es wirklich faszinierend klingt, wenn sich ins Chinesische der unverkennbare Akzent von jemandem mischt, der aus Brooklyn stammt. Zumindest glaube ich, dass es Chinesisch ist. Meine automatische Übersetzung funktioniert im Hauptquartier nicht, also habe ich keine Ahnung, was er gerade gesagt hat.
    »G uten Morgen, Onkel«, entgegne ich.
    »N un, es ist nicht einfach ein guter Morgen. Es ist ein fantastischer Morgen!« Er springt auf den niedrigen Tisch, der zwischen uns steht, zückt das Schwert, deutet auf die Sterne und Planeten des Deckengemäldes und deklamiert:
    »Der Fluss ist grün,
    am Himmel Vögel weiß.
    Gebirge blau,
    das Rot der Blüten heiß.
    Nun diesen Lenz
    auch ihn seh’ ich vergeh’n.
    In welchem Jahr
    ich heimkehr niemand weiß.«
    Für einen Moment scheint es so, als wolle er weitersprechen, doch stattdessen springt er vom Tisch und lächelt mich traurig an.
    »I st das nicht wunderschön?«, fragt er und trocknet mit dem Ärmel seine feuchten Augen. »R ührt das nicht die tiefsten Tiefen unserer Seelen auf?«
    »J a, das setzt etwas in Bewegung«, sage ich treuherzig, meine jedoch eher meinen Magen als meine Seele.
    »W eißt du, wer das geschrieben hat, Caleb?«, fragt er und lässt sein Schwert durch die Luft sausen.
    Ich spüre, wie mir der Schweiß auf die Stirn tritt. Ich habe nicht den blassesten Schimmer.
    »D u, Onkel?«, antworte ich.
    Onkel hält sich vor Lachen den Bauch, worauf das Wesen hinter dem Glas des Aquariums erscheint. »N ein, nicht ich … aber xiè xiè – danke für das Kompliment.« Er springt vom Tisch herunter. Der Mann, der diese Worte geschrieben hat, heißt Du Fu. Manche sagen, er war der größte chinesische Dichter aller Zeiten.«
    »S ehr beeindruckend«, sage ich.
    »J a, wahre Größe beeindruckt immer, findest du nicht?«
    »Ä h … doch.«
    »S iehst du dieses Schwert, Caleb?«, fragt er.
    »J a, Onkel, natürlich.«
    »E s ist das Duplikat des Schwerts, das einst Zhu Yuanzhang gehört hat, dem ersten Kaiser der Ming-Dynastie, allerdings mit ein paar Verbesserungen. Zhu kam aus einfachen bäuerlichen Verhältnissen und wurde zu einem der größten Feldherrn in der chinesischen Geschichte.«
    Mit Verbesserungen meint Onkel, dass er das Schwert ein bisschen »a ufgepeppt« hat. Bei Edles für die Ewigkeit geht jedenfalls das Gerücht um, es könne sehr viel mehr als stechen und schneiden.
    »W ürdest du eine Tasse Tee mit mir trinken?«, fragt er, steckt sein Schwert wieder unter die Schärpe und setzt sich mir gegenüber.
    Er klatscht zwei Mal in die Hände, worauf Nassim mit zwei Teekannen und -tassen sowie weiteren Utensilien erscheint, darunter ein kleines Holzkästchen, dessen Oberseite aus kleinen Stäbchen besteht. Er stellt das Kästchen vorsichtig auf den Tisch, setzt die Tassen darauf ab und füllt sie mit heißem Wasser. Seine Bewegungen sind anmutig und bedächtig.
    Mein Blick wandert zum Aquarium. Das große Tier darin ist eine schwarze Schildkröte. Nein, nicht eine. Es sind zwei, die sich träge umeinander bewegen. Die Schildkröten schnappen nacheinander. Und es sind wahrlich keine Liebesbisse. Sie befinden sich in einem Kampf.
    Onkel hebt seine Tasse und fragt mich: »W eißt du, Caleb, dass die Chinesen ihren Tee seit Tausenden von Jahren auf die gleiche Art zubereiten?«
    »D as ist eine lange Zeit«, entgegne ich.
    »W ir können viel von den Chinesen lernen«, fährt er fort. »W ürdest du nicht auch sagen, dass der große Freundschaftsvertrag das wichtigste historische Ereignis dieses Jahrhunderts ist?«
    Ich nicke und nippe an meinem Tee. Auf meiner persönlichen Rangliste belegt der Große Freundschaftsvertrag den zweiten Platz hinter dem ersten Hamburgerverkauf von McDonalds auf dem Mond, doch will ich Onkel lieber nicht widersprechen. Ich werfe einen scheuen Blick über die Schulter. Nassim hat das Büro verlassen. Ich bin mit Onkel allein. Er will auf irgendwas Bestimmtes hinaus, da bin ich ganz sicher. Ich versuche, nicht allzu lange jene Ader auf seiner Stirn anzustarren, die jedes Mal pulsiert, wenn er spricht.
    »W eißt du, wie das Große Freundschaftsabkommen zustande gekommen ist?«, fragt Onkel, während die Ader erneut an- und abschwillt.
    »H m,

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