Die Time Catcher
Ente, aber der Abend ist ja noch jung.
»I ch setz aus«, sage ich.
»D u kannst nicht aussetzen«, entgegnet Mario. »D u musst mitspielen wie alle anderen auch.« Er wirft einen Blick auf mein bandagiertes Handgelenk, fragt aber erstaunlicherweise nicht, was es damit auf sich hat.
»E r hat recht«, meldet sich Lydia zu Wort. »K einer darf sich drücken.«
»M ach ich ja gar nicht«, verteidige ich mich. »I ch will nur zur Abwechslung mal als Letzter drankommen.« Ich frage mich, was für einen brillanten Satz sich wohl Mario gleich ausdenken wird. Vielleicht, dass er ihr in all seinen mèngs begegnet.
Nassim sieht mich für einen Moment an, ehe er sagt: »O kay, Raoul, du fängst an.«
Raoul räuspert sich. Neben Schnarchen gehört Räuspern zu seinen herausragenden Fähigkeiten. Er tut es bei jeder Gelegenheit: bevor er redet, nach dem Reden und sogar währenddessen. Ich habe ihm mehr als einmal angeboten, ihn zu Dr. Margolies im ersten Stock zu begleiten, um die verschiedenartigen Geräusche, die aus seiner Kehle dringen, untersuchen zu lassen. Vielleicht ist ein Hundezahnarzt ja prädestiniert dafür, seinen Rachenraum zu reinigen. Doch bis jetzt hat er mein Angebot nicht angenommen.
»D er neue Monsun von Ford fährt wie ein mèng «, sagt Raoul.
Ich unterdrücke ein Lachen. Diesen Slogan habe ich auf mindestens einem Dutzend Werbeplakaten in ganz SoHo gesehen.
Nassim müssen sie wohl entgangen sein, denn er sagt: »S ehr gut. Lydia!«
» Z uò mèng, der unmögliche mèng«, fügt sie mit eigentümlichem Singsang hinzu, hört dann Gott sei Dank aber auf.
»Ä h, okay … Abbie?«, sagt Nassim.
Ich drehe mich um und schaue sie an. Seit wir aus London zurückgekehrt sind, hatte ich noch keine Gelegenheit, mit ihr zu sprechen.
Dann werfe ich Mario einen verstohlenen Blick zu. Sein üblicher selbstgefälliger Gesichtsausdruck ist verschwunden. Gut so. Das bedeutet, dass Herr Mittelpunkt-des-Universums auch keine Ahnung hat, was sie jetzt sagen wird.
»L etzte Nacht hatte ich einen mèng«, beginnt Abbie mit wackliger Stimme und ernster Miene. Ich spüre die Anspannung im Raum, als sie Atem holt.
Dann sieht sie mir in die Augen und sagt: »D u kamst auch darin vor, Cale.«
Mein Magen zieht sich zusammen.
»W ir waren auf einer Mission, irgendwo in Asien. Ich weiß nicht genau, wo oder wann es war. Doch wir mussten einen Berg erklimmen, um an das Objekt heranzukommen, einen sehr steilen Berg.«
Im Raum ist es mucksmäuschenstill. Selbst Raoul hat das Räuspern eingestellt.
»I rgendwie haben wir uns aus den Augen verloren und nahe des Gipfels kam ich nicht mehr weiter. Ich war von steilen Felswänden umgeben, die ich unmöglich weiter hinauf- oder hinabklettern konnte«, fährt sie fort. »D och eine Rast machen konnte ich auch nicht, weil ich schutzlos dem eisigen Wind ausgeliefert war. Die Nacht brach herein. Ich fand einen Weg, höher hinaufzugelangen, und hoffte verzweifelt, irgendwo Schutz vor dem Wind zu finden.«
Als Abbie eine Pause macht, lasse ich die Luft durch meine Lippen entweichen und merke erst jetzt, dass ich sie angehalten habe.
»S chließlich erreichte ich einen Grat nahe des Gipfels. Der Wind toste, und es schneite so heftig, dass man kaum einen Schritt weit sehen konnte. Aber ich war davon überzeugt, unser Objekt müsste sich ganz in der Nähe befinden. Und dass ich nur die Hand auszustrecken brauchte, um es zu ergreifen.
Also strecke ich meine Hand aus, so weit ich kann. Doch spüre ich nichts als Schnee an meinen Fingern. Als ich einen weiteren Versuch unternehme, verliere ich das Gleichgewicht und beginne zu fallen …«
Mein Mund ist trocken. Ich lasse meine Gabel auf den Teller sinken.
»W as ist dann passiert?«, fragt Lydia mit großen Augen.
»D ann hat Caleb mich festgehalten«, antwortet Abbie und lächelt mich strahlend an.
Erleichterung durchströmt mich. Ich schaue zu Mario hinüber, der weniger glücklich aussieht.
»U nd das Objekt, das ihr stehlen solltet?«, fragt Lydia.
»D as ist der seltsame Teil des Traums«, sagt Abbie. »E s war ebenfalls gefallen und ganz in der Nähe von uns gelandet. Doch obwohl Caleb und ich es hörten, konnten wir es nicht finden.«
»I hr konntet es hören? «, fragt Lydia.
»J a, es …« Abbie sucht nach dem richtigen Wort. »E s weinte.«
Lydia sitzt angespannt auf der äußersten Stuhlkante, und als ich den Blick senke, bemerke ich, dass ich dasselbe tue.
»D u meinst, es war ein Kind?«, fragt Lydia.
Abbie
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