Die Time Catcher
umdrehe, erblicke ich einen riesenhaften Kerl.
Er ähnelt ein bisschen Nassim, wenn seine Haare in Unordnung sind. Minus ein paar Zähne.
Er ruft mir etwas zu. Ich habe keine Ahnung, was es ist. Meine automatische Übersetzung funktioniert nicht. Doch höre ich seiner Stimme an, dass es nicht »h erzlich willkommen« bedeutet.
Als ich mich aufrappele, wird das Schiff von einer schweren Bö erschüttert. Ich krabbele Richtung Bug, bevor eine weitere Welle das Schiff erfasst und mich zurückrutschen lässt. Meine zitternden Hände schließen sich instinktiv schützend um meinen Hinterkopf.
In den nächsten zwei Sekunden ist es unheimlich still. Als hielte die Welt den Atem an.
Dann geht das Geschrei los. Es sind ohrenbetäubende, markerschütternde Schreie, die teils von hinten, teils von vorn kommen. Befehle werden gebrüllt. Grauschwarze Rauchschaden, wohin man schaut. Pulverdampf liegt in der Luft. An mehreren Stellen züngeln Flammen an Deck, angefacht vom stürmischen Wind.
Mein Kopf wendet sich dorthin, wo die Schreie am lautesten sind. Dort steht der Riese und umklammert die Reling. Doch ist er nicht mehr vollständig. Ein großes Stück seines linken Arms, direkt unter der Schulter, fehlt.
Doch sehe ich auch andere Männer. Sie tragen zerlumpte Kleider und kriechen über die Planken oder ziehen sich nur mithilfe ihrer Hände über das Deck. Andere wiederum bewegen sich kaum.
Du musst hier weg, Caleb! Für diese Mission bist du nicht vorgesehen. Doch ich weigere mich, auf meine innere Stimme zu hören. Die Vase des Xuande ist irgendwo auf diesem Schiff. Und ich werde es nicht ohne sie verlassen.
Ich taumele voran. Jede Bewegung ist schwierig. Es kommt mir so vor, als würde ich einen steilen Berg besteigen, statt über ein flaches Deck zu gehen. Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich kleine haarige Tiere an mir vorbeiflitzen. Ratten.
Ein weiterer Windstoß. Ich werde zur Seite geworfen, lande irgendwo in der Takelage.
Du stirbst, wenn du nicht sofort von hier verschwindest. Ich durchforste mein Gehirn nach irgendeinem Bild meines zukünftigen Ichs, um mich zu vergewissern, dass ich die nächsten fünf Minuten überleben werde. Doch ich finde keines.
Ein Riesenbrecher lässt das Schiff erzittern. Ich krache der Länge nach auf das Deck und bereite mich darauf vor, dass irgendjemand meiner jämmerlichen Existenz auf diesem Planeten ein Ende bereitet.
Meine Beerdigung wird kurz, aber denkwürdig sein. Onkel wird die Grabrede halten und Abbie in ihrem schwarzen Hosenanzug aus Leder einfach hinreißend aussehen. Wird sie weinen? Das will ich doch hoffen, obwohl ich gewisse Zweifel hege. Mario steht neben ihr, ein wenig zu nah für meinen Geschmack. Nassim kann es kaum erwarten, sich wieder seinen Kreuzworträtseln widmen zu können, doch muss auch er so lange warten, bis Phoebe die letzten Momente meines Lebens hat Revue passieren lassen. Sie schildert mein Ende in verschiedenen Variationen, und nachher dürfen alle abstimmen, welche sie am besten fanden.
Ich krabbele auf allen vieren. Erblicke in der Ferne eine dunkle Öffnung, der ich mich nur äußerst langsam, Zentimeter für Zentimeter, nähere.
Nach einer gefühlten Ewigkeit erreiche ich sie.
Als ich den Vorhang zur Seite schlage, um unter Deck zu gelangen, quillt mir dicker schwarzer Rauch entgegen, brennt in meinen Augen und verursacht einen quälenden Hustenanfall.
Ich ziehe mein T-Shirt über Mund und Nase und setze meinen Fuß behutsam auf die Treppe.
Auf der dritten Stufe stolpere ich über etwas und verliere fast das Gleichgewicht. Ich kicke den Gegenstand, was auch immer es ist, zur Seite und setze meinen Weg fort.
Männer kommen mir entgegen. Hustend und keuchend und mit wilden Blicken. Ich mache ihnen Platz.
Für einen kurzen Moment vergesse ich vollständig, was ich auf diesem Schiff eigentlich zu suchen habe. Vermutlich ist es der Zeitnebel, der meine Gedanken verwirrt. Seit fast fünfzig Minuten halte ich mich nun schon in der Vergangenheit auf. Mein Gehirn schreit, dass ich hier verschwinden muss. Aber ich kann nicht.
Endlich erreiche ich den Frachtraum. Der Rauch ist so dick, dass ich kaum einen Meter weit sehen kann. Ich huste in mein Shirt und taste mich mit den Händen vorwärts. Sie berühren Fässer, aufgewickelte Taue, Kisten …
In einer von ihnen muss sich die Vase befinden. Ich kneife die Augen zusammen und versuche, durch den Qualm hindurch die Schrift auf den Kisten zu entziffern. Aber es gelingt mir nicht.
»W o
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