Die Time Catcher
spät. Die Panik hat längst begonnen, sich in mir auszubreiten. Doch ich werde nicht zulassen, dass sie mich beherrscht. Muss einen kühlen Kopf bewahren. Schutz. Ich muss mir einen geschützten Ort suchen. Dann brauche ich Nahrung und Wasser. Wasser zuerst. Ein Mensch kann zwei Wochen lang ohne Nahrung überleben, ohne Wasser jedoch maximal fünf Tage.
Ich bleibe stehen und schaue mich um. Ist dies der Ort, an dem ich vorhin lag? Kann sein, kann aber auch nicht sein. Was nun? Auf Nassim warten? Zu riskant. Die Hitze ist erbarmungslos, und wenn ich noch länger hierbleibe, werde ich bei lebendigem Leib gebraten. Wenn ich weitergehe, wird Nassim mich niemals finden. Aber ich habe keine Wahl – entweder von hier verschwinden oder sterben.
Ich stapfe einfach weiter. Schon bald sind alle Gedanken aus meinem Kopf verschwunden. Ich habe auf Autopilot geschaltet. Einen Fuß vor den anderen. Wäre der Stand der Sonne nicht, hätte ich keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen ist. Eine Minute fühlt sich wie eine Stunde, eine Stunde wie ein Tag an. Ich habe jedes Zeitgefühl verloren.
Wie originell. Ein Time Catcher ohne Zeitgefühl.
Der Wind frischt auf und bläst mir den Sand in Augen, Nase und Ohren, ja sogar in den Mund. Ich reiße einen Streifen von meinem T-Shirt ab und halte ihn mir über Nase und Mund. Doch es scheint nichts zu nützen. Wirbelnder Sand erfüllt die Luft und nimmt mir die Sicht. Ich kann meinen Weg unmöglich fortsetzen. Also sinke ich zu Boden, mache mich so klein wie möglich und halte mir schützend die Hände über den Kopf.
Der Wind tobt um mich herum. Ich muss Halluzinationen haben, denn ich könnte schwören, Gelächter zu hören. Ich halte mir die Ohren zu, aber vergeblich. Die Wüste lacht mich aus.
Nach einer gefühlten Ewigkeit legt sich der Wind und der Himmel klart auf. Ich hebe langsam den Kopf und lasse meinen Blick schweifen. Alles ist ruhig. Ich stehe auf und mache einen zaghaften Schritt nach vorn. Ich habe jede Orientierung verloren. Bewege ich mich vorwärts, oder werde ich dorthin zurückgelangen, wo ich herkam?
In der Ferne kann ich vage Umrisse ausmachen. Es sieht aus wie das Dach eines langen, rechteckigen Gebäudes. Und noch besser: Zur Rechten des Gebäudes erkenne ich jetzt einen großen See, der in der späten Nachmittagssonne glitzert.
Ja! Mein Glück ist zurückgekehrt. Binnen Sekunden haben sich zwei meiner drei größten Wünsche erfüllt. Wasser und ein Dach über dem Kopf. Ich laufe dem Haus und dem See entgegen. Nun, laufen ist vielleicht übertrieben, weil ich ungelenk hin und her stolpere, aber das ist mir im Moment so was von egal.
Ich spüre das Wasser bereits auf meiner Zunge. Seidig und süß. Doch als ich einen weiteren Blick auf das Gebäude werfen will, ist es verschwunden. Der See ebenso.
Als hätten sie nie existiert.
Das kann nicht sein! Vielleicht habe ich in die falsche Richtung geschaut. Ich wirbele herum, starre fieberhaft in alle Richtungen.
Eine Luftspiegelung. Es war nur eine Fata Morgana. Es kommt mir so vor, als hätte jemand sämtlichen Sauerstoff aus mir herausgeschlagen. Kopfüber stürze ich in den Sand. Das war’s. Ich bin am Ende. All die restliche Energie, die ich eben noch besessen habe, hat sich gemeinsam mit dem Haus und dem See in Luft aufgelöst. Warum soll ich überhaupt noch etwas unternehmen? Dann steht mir plötzlich Bens Bild vor Augen. Er ist der Grund. Er braucht mich.
Langsam rappele ich mich auf und trotte weiter. Nach einiger Zeit merke ich, dass die Luft abkühlt. Ich sehe eine weitere seltsame Erscheinung vor mir, irgendwas ragt dort aus dem Boden heraus. Etwas, das oben ein wenig geschwungen ist.
Die nächste Fata Morgana? Eher nicht. Zum einen flimmert sie nicht, sondern sieht sehr massiv aus. Zum anderen wird das Objekt größer, je näher ich ihm komme, wie das bei wirklichen Objekten der Fall ist. Ich schließe meine Augen und öffne sie wieder. Das Objekt ist immer noch da.
Ich bin jetzt nahe herangekommen. So nah, dass mir ein Schauer über den Rücken läuft. Es ist das Skelett eines großen Tieres. Zunächst halte ich es für ein Pferd, doch als ich genauer hinsehe, erkenne ich die Überreste zweier Höcker. Ein totes Kamel.
Erneut verlässt mich der Mut. Wenn ein Tier, das für ein Leben in dieser Gegend prädestiniert ist, hier nicht überleben kann, wie sollte ich dazu in der Lage sein?
Auf einem großen Stein neben dem Kamel sind viele kleine Steine zu einer Pyramide aufgetürmt. Von wem? Und
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