Die Time Catcher
und mir deine erste Beute gezeigt hast.
Was ist nur aus diesem strahlenden kleinen Jungen geworden?«, fährt er fort. »W as hat ihn so bedrückt und ängstlich gemacht? Was ist passiert, Caleb, dass du deinem Onkel nicht mehr zuhörst?«
»D u bist nicht mein Onkel!«, schreie ich.
»T s, ts. Du darfst dich nicht überanstrengen«, sagt Onkel. »D ie Wirkung des Narkosemittels, das ich dir verabreicht habe, setzt normalerweise erst nach einer gewissen Zeit ein. Mir ist es so am liebsten. Das verschafft uns Gelegenheit, noch ein wenig zu plaudern. Doch wenn du dich aufregst, beschleunigt sich die Wirkung. Also bleib bitte ganz ruhig. Es wäre doch ein Jammer, so ein anregendes Gespräch plötzlich abbrechen zu müssen.«
»B itte, lass mich gehen«, flehe ich. »I ch werde dir keinen Ärger mehr machen. Ich verspreche es.«
»O h, ich bin sicher, dass du das nicht tun wirst. Und ich habe sowieso vor, dich bald gehen zu lassen, allerdings auf eine etwas andere Weise, als du dir das vorstellst.« Er lacht leise in sich hinein.
»Ä h, wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Wusstest du, Caleb, dass es während der Ming-Dynastie eine Strafe für unrechtmäßiges Verhalten gab, die sich Fapei nannte?«
Ich schüttele den Kopf.
»D ann will ich sie dir erklären«, fährt er fort. »F apei war eine der fünf Bestrafungen, die im sogenannten Tang-Kodex beschrieben waren und bei Gesetzesverstößen angewandt wurden. Lose übersetzt bedeutet Fapei so viel wie des Landes verwiesen.«
Während er spricht, wandert Onkels Hand zu einem kleinen Tisch neben ihm, auf dem blitzende Skalpelle, Messer und andere Operationswerkzeuge auf einem weißen Tuch liegen. Er nimmt eins der Skalpelle in die Hand und prüft mit dem Daumen die Schärfe der Klinge.
»I n kritischen Situationen der Weltgeschichte hat es immer wieder bedeutende Persönlichkeiten gegeben, die sich freiwillig ins Exil begeben haben, um gestärkt daraus hervorzugehen. Einer der größten chinesischen Kaiser, Quianlong, assoziierte das Exil mit der Idee des Zixin beziehungsweise dem Weg der Selbsterneuerung .«
Mir ist kalt. So kalt. Trotzdem fällt es mir schwer, wach zu bleiben. Meine Gedanken werden schwer und konfus. Onkels monotoner Vortrag nimmt kein Ende. Ich höre seine Worte, doch sind es Klänge ohne Bedeutung.
»I ch rate dir also Folgendes, Caleb«, sagt Onkel schließlich. »D u solltest deine bevorstehende Zeit im Exil nicht so sehr als Strafe empfinden – obwohl sie das natürlich ist –, sondern vor allem als Möglichkeit, dich persönlich weiterzuentwickeln.«
Hinter Onkel bewegt sich etwas. Mein Blick ist verschwommen, dennoch kann ich die Umrisse mehrerer Personen ausmachen. Wer sind sie? Was tun sie hier?
»I ch verbanne dich in die Wüste«, sagt er. »D ort wirst du ein Jahr bleiben, ehe du möglicherweise zurückkehrst. Doch bevor du auf Reisen gehst, muss ich noch eine kleine Operation an dir durchführen. Denn ich brauche etwas von dir zurück, was mein Eigentum ist.«
Was sagt er da? Es fällt mir so schwer, mich zu konzentrieren. Ich will schlafen.
Mein Bewusstsein driftet ab. Wattige Wärme hüllt mich ein. Ehe mir schwarz vor Augen wird, sagt Onkel zu einem der anderen: »L asst uns anfangen.«
In der Wüste, Tag 1
I ch liege auf dem Rücken. Schweißperlen bahnen sich ihren Weg über mein Kinn. Als ich die Augen öffne, werde ich von Helligkeit fast geblendet. Ich schließe sie wieder und will weiterschlafen, aber mein Gehirn spielt nicht mit. Es will, dass ich aufwache und die juckende Stelle an meinem Arm kratze. Ich versuche tapfer, sie zu ignorieren. Schließlich folgt dem Aufwachen das Aufstehen, Aufstehen erfordert Mühe, und Mühe will ich unter allen Umständen vermeiden. Aber das Jucken lässt nicht nach. Sieht so aus, als würde ich mich bald darum kümmern müssen. Aber bald ist nicht jetzt, sage ich mir und dämmere weiter vor mich hin.
Der Juckreiz quält mich mehr als je zuvor. Mein Gehirn sagt, es sei das rechte Handgelenk. Einmal ordentlich kratzen, dann dürfte der Fall erledigt sein, und ich kann endlich weiterschlaf… AAUUUU !
Ein stechender Schmerz durchzuckt mich. Im nächsten Moment sitze ich kerzengerade da. Von der Wurzel meiner Handfläche zieht sich eine gezackte Linie den halben Unterarm hinauf. Jemand hat meinen Arm aufgeritzt.
Ich drehe den Kopf, falls mein Angreifer direkt hinter mir ist, um mich endgültig fertigzumachen.
Aber da ist niemand.
Was mich aber noch mehr erschreckt: So weit
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