Die Time Catcher
oder genug Kraft, um ihn mit der Hand zu verscheuchen.
Hätte ich nicht das schreckliche Bild vor Augen, wie sich die Krallen der Geier in mich hineinbohren, würde ich mich an Ort und Stelle hinlegen, um ein bisschen auszuruhen.
Ich schließe für einen Moment die Augen und höre … ein leises Rauschen. Ich bin mir sicher, dass es nicht der Wind ist. Doch will ich mich nicht schon wieder an eine vergebliche Hoffnung klammern, auf ein weiteres Trugbild der Wüste hereinfallen. Dennoch muss ich der Sache auf den Grund gehen. Ich lasse mich auf die Knie sinken und krieche dem Geräusch entgegen. Es wird lauter. Kann eine Illusion lauter werden?
Es kommt vom nächsten Felsvorsprung. Die kleine eichhörnchenhafte Kreatur, die ich vorhin gesehen habe, flitzt an mir vorbei. Dorthin, wo das Geräusch ist. Das können wir uns doch wohl nicht beide einbilden. Mein Herz setzt einen Schlag aus. Eine leise Hoffnung keimt in mir auf.
Ich muss dem Ursprung des Geräuschs jetzt sehr nahe sein. Erblicke den Felsvorsprung direkt vor mir. Doch glaube ich nicht, dass es mir gelingen wird, mich hinaufzuziehen. Eine Flut von Bildern stürzt auf mich ein: Abbie lächelnd in London. Ben mit einem Schnurrbart vom Eis. Es heißt ja, das ganze Leben ziehe an dir vorbei, bevor du stirbst, doch hoffe ich nicht, dass es bei mir schon so weit ist.
Ich rappele mich auf, setze den Fuß in einen Spalt und ziehe mich ein Stück nach oben. Mit Schildkrötengeschwindigkeit bewege ich mich weiter. Meine Schuhe stemmen sich abwechselnd in irgendwelche Ritzen, und immer, wenn ich mich ein bisschen weiter nach oben gehievt habe, denke ich, es geht nicht mehr weiter. Doch tief in mir, es ist mir selbst ein Rätsel, finde ich die Kraft, meinen Weg fortzusetzen.
Dann bin ich schließlich oben und werfe mich über die Kante. Keuchend bleibe ich liegen.
Etwas klopft gegen mein Knie. Tut mir leid, Ben, aber ich kann jetzt nicht mit dir spielen. Ich bin beschäftigt. Tipp. Tipp. Tipp. Ich starre direkt in das gelbe Knopfauge eines großen Geiers. »N ein!«, schreie ich und trete nach dem Vieh. Es schlägt mit den Flügeln und weicht zurück, jedoch nur ein paar Schritte. Ich höre es wütend zischen. Zischen? Nein, das kann nicht sein. Vögel zischen nicht. Aber was höre ich dann?
Langsam wende ich meinen Kopf dem Geräusch zu. Wasser. Das den Felsen hinunterstürzt. Ich glotze es ungläubig an. Das kann nicht wahr sein. Doch wenn es nicht wahr ist, sollte man vielleicht mal dem Eichhörnchen Bescheid sagen. Es hockt einen halben Meter von mir entfernt und trinkt aus einem kleinen Becken, das sich mit Wasser gefüllt hat.
Ich robbe ein Stück nach vorn. Ich muss es schaffen. Strecke meine gesunde Hand aus. Als das Eichhörnchen mich bemerkt, huscht es davon und verschwindet in einer kleinen Öffnung. Meine Hand formt sich zu einer Schale. Ich schöpfe ein wenig Wasser, führe es an meine Lippen und trinke.
Ich trinke, bis mir der Bauch platzen will. Mein Gehirn nimmt seine Arbeit wieder auf. Ich brauche was zu essen. Aber das muss warten. Die Dämmerung schreitet rasch fort. Ich muss mir einen Platz für die Nacht suchen.
Ich will mein Wasserbecken nicht verlassen. Aber hier gibt es keinen Schutz, sondern nur offenen Fels. Mit neuer Energie klettere ich zum nächsten Felsvorsprung. Und zum übernächsten. Unablässig schaue ich zurück, damit ich mein Wasserbecken nicht aus den Augen verliere.
Beim vierten Felsvorsprung sehe ich sie. Eine mächtige Felsformation direkt über mir. Darin mehrere dunkle Punkte. Als ich näher herankomme, erkenne ich, dass es sich bei den dunklen Punkten um Löcher handelt – Höhlen. Ich klettere hinauf, um sie näher zu betrachten. Die beiden ersten sind nichts weiter als schmale Nischen in der Felswand. Doch bei der dritten Öffnung habe ich Glück. Dahinter verbirgt sich eine Höhle, die so groß ist, dass ich darin fast aufrecht stehen kann. Dort ist es zwar dunkel, doch mithilfe meines implantierten Okulars sehe ich, dass sich dort keine Berglöwen oder andere unangenehmen Überraschungen befinden. Endlich habe ich es gefunden.
Mein neues Zuhause.
In der Wüste, Tag 37
A ls Erstes überprüfe ich meine Fallen, wie ich dies an jedem einzelnen Tag getan habe, seit ich in meine Höhle gezogen bin. Ich habe zehn von ihnen ausgelegt und über drei Felsvorsprünge verteilt. Schon bevor ich Nummer acht begutachte, weiß ich, dass ich Glück hatte, weil unter dem Stein ein Schwanz hervorschaut.
Ich habe wirklich
Weitere Kostenlose Bücher