Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Fuchs
Vom Netzwerk:
man an mir alles lieben kann. Alles, was ich auch an ihm liebe. Augen. Mund. Seine Handschrift. Ich habe auch eine schöne Handschrift. An mir ist alles gerade und gut gewachsen. Es gibt nichts an mir auszusetzen. Ich bin gut, nicht gut genug, richtig gut. Ich weiß was mit meinen Händen anzufangen, und ich werde uns eine Zukunft kneten, nähen, formen. Er liebt mich. Ob er mich liebt? Ja. Ob er das weiß? Nein. Ob ich das weiß? Ja.
    Ich wecke ihn und sage, dass ich ihn liebe. Er sagt: «Nicht jetzt!» Ich weiß, später. Später!

zwölf
    Ich habe einen Unfall, einen verfickten, dreimal verflixten Unfall. Mich bumst jemand von hinten an. Aller scheiß Dinge sind drei. Erstens: Tanja ist die Titanic mit einem langen Riss im Bug und ich kann zusehen, wie ihre Herzkammern voll Wasser laufen. Zweitens: Anton hat abgesagt und wir gehen heute doch nicht zusammen essen und quatschen. Keine Bockwurst, kein scheiß Eisbein. Nur ein Raucherbein. Na, Brust Mahlzeit! Drittens und letztens und der Gewinner bei der Kackolympiade, ganz oben auf dem Treppchen: Ich werde angebumst, mein Kopf knallt an die Nackenstütze und produziert nur noch ein Wort. «Scheiße!» Endlosschleife. Ich verhalte mich wie jeder normale zivile Verkehrsteilnehmer, nehme Kondome und halte an der roten Ampel an und der Idiotenfurz hinter mir hält auch an, aber erst nach dem Aufprall. Da stehen wir nun mit den knutschenden Stoßstangen. Nachdem ich wieder außerhalb meiner Endlosschleife denken kann, denke ich, dass an allem die Zivilisation schuld ist. Ohne Fortschritt kein Ford. Hätte der Homo sapiens nicht das Rad erfunden, wäre mir der Affe nicht hinten rauf gefahren, die Presskacke von Spinner. Wir wären uns vielleicht auf einem Trampelpfad durch einen Berliner Forst begegnet und sein Pferd hätte mein Pferd von hinten bestiegen, auch nicht schön, aber vielleicht wäre ein schönes Fohlen dabei herausgekommen, welches mir als Schadenersatz zufallen würde.
    So aber, weil der Mensch nach Höherem strebt und an der Brustwarze des Fortschrittes herumnuckelt, steigen wir beide aus: ich, der Gebumste, und Hirni, der Bumser. Die neuen Besitzer verbeulter Stoßstangen. Prekär im Verkehr. Ich könnte mich so aufregen und dann sage ich: «Na, fein!»
    Der alte Mann zuckt die Achseln, kraucht um seinen Ford und bestaunt sein Werk. Jaja, fast Kunst! Großes Kino! Dann lächelt er und sagt: «Da sollten wir wohl mal ein Bier zusammen trinken gehen.»
    Gut, es ist mein erster Unfall, ich habe keine Ahnung, ich weiß von nichts, aber meinetwegen gehen wir ein Bier trinken. Die Stoßstangen bleiben verbeult, aber ich werde betrunken und dann kann ich mal wieder was Verbotenes tun, angetütert den PKW steuern, Tüt tüt. Ich würde mich lieber mit Hirni, dem Bumser anschreien, Arschloch, Wichser und alles, ein bisschen schubsen und boxen, bis die Fressen aussehen wie die Stoßstangen, aber so soll es nicht sein. Es läuft nie wie ich will, gehen wir eben Biertrinken.
    «Okay!», sage ich. «Okay, aber wir müssen die Wagen erst mal von der Ampel wegschaffen.»
    Wir stehen immer noch an der Ampel, die inzwischen grün war, dann rot, dann gelb und was nicht alles.
    «Fährt Ihr Wagen? Also, alles klar?», fragt mich der alte Mann mit dem alten Auto. Sein Auto ist mindestens zehn Jahre alt und er siebzig. Autojahre zählen mal sieben, er ist also so alt wie sein Gefährt.
    «Mal sehn», sage ich. «Und Ihrer?»
    «Ebenfalls, mal sehn», sagt er.
    Wir steigen in unsere Karren. Bis jetzt ist mir noch gar nicht der Gedanke gekommen, dass mein Auto nicht fahren könnte, unwahrscheinlich, wenn man nur angebumst wird, aber könnte ja sein, bei meiner lebenslangen Wundertüte an Mistwurst. Ich denke: «Wehe, du Sack, wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe. Wenn mein Auto jetzt nicht anspringt, muss ich dich zertreten, du Kippe, zerquetschen oder vermöbeln, du Klapptisch, oder ich fahre Fahrrad.»
    Ich drehe meinen Zündschlüssel. Das Auto von Hirni, dem Bumser tuckert hinter mir, schön für ihn. Meins springt auch an, auch schön für ihn, dann kann er meinetwegen noch hundertdrei werden, das Methusalämmchen. Ich hätte dich so was von, alter Mann, so was von fertig gemacht, das Gebiss zerlatscht. Stattdessen halte ich meine linke Faust mit erhobenem Daumen aus dem Fenster in die kalte Luft. Alles okay, alter Mann. Alles, die Weltwirtschaftslage, meine Libido, mein Auto, mein Knie, einfach alles.
    Der Alte kutschiert seinen Ford neben mein Auto, kurbelt die Scheibe

Weitere Kostenlose Bücher