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Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Fuchs
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mein Schwanz sich verneigt.
    «Postkarte ist unterwegs!», sagt mein Vater, und ich bedanke mich auch noch. Das ist alles. Er ruft an, gratuliert nicht, sagt, die Postkarte wäre unterwegs, die hat eine glitzernde Zahl vorne drauf, und hinten drauf steht: «Gratuliert habe ich dir schon.» Er gratuliert mir nie und ich bedanke mich jedes Mal brav. Ich war immer so artig. Danke für diesen guten Morgen, danke für jeden neuen Tag, himmlischer Vater, für alles danke, Hände an die Hosennaht. Und trotzdem hat er mich ständig an den Schultern geschüttelt wie ein junges Bäumchen. Wie soll man da gerade wachsen? Wenn ich ihn nicht küssen wollte, sagte er vor versammelter Verwandtschaft: «Komm her! Ich habe dich doch noch nie geschlagen.» Nein, er hat mich nur gründlich geschüttelt und völlig abgeerntet, bevor Früchte reif waren. Zu meinen Kindern ist er immer lieb, der Opa Harald. Irgendwann hatte er keine Kraft mehr zum Schütteln. Das wäre dann meine Aufgabe gewesen, sind ja meine Kinder. So ist der Kreislauf, ein Dauerlauf.
    «Bis Juni», sagt der Herr Papa und legt auf. Im Juni hatte meine Mutter Geburtstag und ich muss an diesem Tag meinen Vater anrufen und ihm irgendwie stellvertretend gratulieren, dabei könnte er genauso gut mich anrufen. Versteh das, wer will, ich will ja gar nicht.
    Wenn der Alte nicht angerufen hätte, hätte ich noch gewichst, aber es ist nichts zu wollen, das Teil hängt und interessiert sich nur für die Fußbodenfliesen, und nicht für die Deckenbeleuchtung. Ich wasche mir die Hände und weil der Wasserhahn zu heiß eingestellt ist, verbrühe ich mich prompt. Das ist nun der Dank für das Unterlassen von Sünde an mir selbst? Sehr viel Humor, eimerweise, lieber Gott. Ich ziehe mich an, die schwarze Geburtstagskrawatte, und setze mich zum Rauchen in die dunkle Stube. Das Aquarium ist die einzige Lichtquelle. Mein Schatten an der Wand ist 43 Jahre alt und raucht. Der Rauch meiner Zigarette scheint direkt aus meiner Hand zu kommen, die Zigarette ist verdeckt vom Handgelenk. Meine Hand raucht, als ob sie brennt und das tut sie auch, tut scheiße weh. Muss ich mir mal merken, dass ich bei Gelegenheit mal über die Mischbatterie fluche, zum Beispiel jetzt: elende Mischbatterie, Schlammblut. Wenn ich es verdient hätte, würde ich keinen Mucks von mir geben. Auch wenn mein Vater mir zu Recht den Körper geschüttelt hätte, als Strafe für eine Missetat, das hätte ich respektiert. Er sagte: «Na, klapperts?» und Klaps hinten drauf. So ein Kumpel. Unter Männern demütigt es sich unbemerkt. Ich vermisse die Geburtstagskarten meiner Mutter, in denen sie in der Anrede behauptet hat, ich wäre ein lieber Peter.
    Ich drücke die Zigarette aus und stehe auf. So Rädchen, geh dich drehen, lustig fein, Schuhe an, Gesicht auf. Im Auto ist es kalt, aber die Vögel schreien wie Frühling. Es dämmert im Osten. Allen im Osten dämmert es, dass sie behumbst wurden, selbst Tanja könnte es im Osten dämmern, dass ich sie behumbse, und unsere Einheit ist auch nur ’ne Mischbatterie. Ich stelle den Rückspiegel ein, damit ich mich nochmal ansehen kann. 43, dabei war ich auch mal 34. Gar nicht so lange her, da hat mich das Wetter weniger verschlissen, das Wetter und die Arbeit, da war Anton noch in Berlin, aber vor allem das Wetter. Das ganze Land ist beschlagene Brille. Ich bin geboren in beschlagene Brille und da ich hier auch nie wegziehen werde, brauche ich mich gar nicht beschweren. Alles meine Schuld, mein Land, mein Beruf, meine Falten – alle selbst gegrämt. Meine Scheidungen – alle selbst nicht aufgehalten. Um Frauen muss man kämpfen. Ich kämpfe nur gegen Frauen. Mit 34 war ich seit zwei Jahren das erste Mal geschieden und guter Dinge, dass es auch ein zweites Mal klappen könnte. Es hat auch ein zweites Mal mit der Scheidung geklappt, supi, dabei dachte ich eher, dass die Ehe klappen sollte. Bis zum Tod. Es hat sich nur angefühlt wie der Tod. Das waren Schmerzen, wie sie jedes Schwein beim Schlachten hat, fängt ja alles mit «Sch» an, Schwein, schlachten, Scheidung.
    Ich fahre mit nur einer Hand am Steuer und rauche mit der anderen. Ich kann nicht leugnen, dass das die guten Momente am Tag sind. Die Stadt nimmt ihre Beschäftigung auf, es arbeiten dann doch noch mehr Menschen, als man denken könnte, wenn man die Nachrichten sieht. Man muss Straße sehen, um zu sehen, was los ist. Sieht aus, als ob Kapitalismus funktioniert.
    Dann betrete ich die Flure, in denen meine Schuhe

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