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Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Fuchs
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er.
    «Geh weg!», sagt sie. «Ich mache gerade eine Liebeserklärung.»
    Er geht.
    Wieder sind sie allein, die Sanduhr an der Holzwand zeigt, dass sie schon eine halbe Stunde in der Sauna sind. Das ist zu lange, aber sie muss ihm noch so viel sagen. «Ich liebe dich», sagt sie ihm, mehrfach. «Weil es immer einen Moment gibt, wenn wir beieinander sind, in dem ich dich am meisten liebe, wenn ich auf deinem Rücken liege und du summst. Du bist mir in mein Nachthemd gefallen, vom Himmel, wie ein Goldstück. Du bist wichtig. Ich will deinen Namen groß in mein wichtiges Heft schreibe, mit Druckbuchstaben und dann unterstreiche ich deinen Namen rot, mit einem Lineal, einmal, zweimal und als ich das Lineal nach dem zweiten Mal wegziehe, ist der rote Strich verwischt. Darum reiße ich die Seite aus dem wichtigen Heft und kaufe ein neues wichtiges Heft und schreibe deinen Namen ganz neu, ganz ordentlich, weil du wichtig bist. Ich will dich erst heiraten, wenn anstatt Ringe Herzen getauscht werden. Wenn wir nach der Operation wieder auf den Beinen sind, schlägt mein Herz in dir und deins in mir. Das ist größer als ein Ring, schöner als eine Tätowierung. Wir sagen nicht ‹Ja!›, wir sagen ‹Na, klar!› Ich liebe dich einfach. Ich will, dass du mit jedem Wehwehchen zu mir kommst, sei mein Sohn. Und ich will auch Wehwehchen haben dürfen, sei mein Vater. Ich bin alle deine Rippen, nicht eine, alle. Wenn du weggehst, muss ich mir erst meine Haut wieder anziehen, um anderen Menschen zu begegnen. Das machst du.»
    Da sagt er, dass es ihm genauso geht, endlich. «Ich muss mich entschuldigen», sagt er, «dass ich es dir erst jetzt sage. Noch nie habe ich eine Frau so geliebt wie dich.»
    Sie umarmen sich und sind nass geschwitzt, vermischen seins und ihrs zu unserem. Die Stelle gefällt mir so gut, dass ich sie häufiger träume. Seine Rede wird jedes Mal schöner und länger. Der Schweiß wird mehr. Er sagt wunderschöne Dinge. Ich spule zurück, nochmal. Ich spul zurück nochmal, nochmal.
    Dann klingelt das Telefon und ich erschrecke. Ich werfe die Bettdecke zurück. Ich bin tatsächlich völlig verschwitzt.
    Es ist Katrin, endlich. Sie ist demnächst in Berlin und will mich treffen. Jetzt geht es wieder los. Sie fragt nie, ob ich sie auch treffen will. Ich sage ihr, dass ich in Urlaub fahre.
    «Wohin?», fragt sie.
    «Prag!», fällt mir als Erstes ein.

sechzehn
    Lieber Anton!
    Vielleicht habe ich ja Kehlkopfkrebs, das würde meinem Leben doch einen Sinn geben.
    Tschüs dein Peter

    Ich schicke die E-Mail ab. Dann surfe ich ein bisschen im Internet, behaupte in einem Forum unter dem Chat-Namen Tralala500, dass ich drei Eier habe und es gibt tatsächlich eine Frau, die das antörnt. O Gott, o Scheiße. Da muss ich erst mal eine rauchen, weil ich dann vielleicht Kehlkopfkrebs bekomme. Wenn man mich bei der Obduktion aufschneidet wird es ein großes «Oh!» geben, ein «Oh!» voller Fragen. Wie konnte dieser Mann so alt werden, der nicht nur an einer Lunge wie ein Kohlenkasten gelitten hat, sondern der an allem gelitten hat? Warum eigentlich? Was hat der zu Lebzeiten getan? Anträge auf Anträge, Ablehnungen der Ablehnungen, Widersprüche der Widersprüche.
    Von Anton kommt eine E-Mail, in der er wissen will, ob das ein Scherz ist und ob ich das lustig finde.

    Lieber Anton!
    Das finde ich nicht lustig.
    Dein Peter

    Ich suche im Internet nach anderen Peter Bergs. Es gibt Massen von mir. Die anderen sind Professor und Angeber oder Alleinunterhalter und Politiker. Einer hat tiefe Augenringe, der ist von der SPD. Anton will wissen, seit wann ich das mit dem Kehlkopfkrebs weiß, seit wann, wie hoch sind die Heilungschancen, ob ich ins Krankenhaus muss und wie lange. Er will Zahlen. Er ist so praktisch. Ich habe immer gedacht, wir sind uns ähnlich, aber jetzt reduziert es sich darauf, dass wir zusammen ausgebildet wurden, manchmal schlafen wir und manchmal weinen wir fast. Er will Fakten und ich will Mitleid. Ich habe gar keinen Kehlkopfkrebs und wollte ein starkes Bild dafür, dass alles so ist wie immer. Ich lese Bücher über Verschwörungstheorien und wie dumm George Bush ist.

    Lieber Anton!
    Hundert, dreihundert, sechsundfünfzig Prozent, sieben Euro, acht Tage, fünf Kilogramm.
    Dein Peter.

    Dann rufe ich Tanja an. Die ist nicht da, und ihr Anrufbeantworter verkündet stolz, dass sie in Prag ist. Wer weiß? Wer weiß, wo sie ist und wo sie herkommt? Vielleicht ist sie in der Klapse, bei Ulrike. Und vielleicht kommt

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