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Die Tochter der Dirne

Die Tochter der Dirne

Titel: Die Tochter der Dirne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BLYTHE GIFFORD
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vielleicht wissen, ob seine Worte sie für oder gegen ihn eingenommen hatten.
    Er küsste sie, ohne zu fragen und ohne darauf zu achten, wer sie sehen konnte. Er wollte sie anrühren, bis in ihr Innerstes.
    Bei der Erinnerung daran, wie ihre Haut im Schein des Feuers ausgesehen hatte, wurde er hart vor Verlangen. Mit der Zunge berührte er ihre Lippen, wollte sie schmecken, wollte …
    Sie erstarrte in seinen Armen und presste die Lippen zusammen wie bei dem Kuss in der Weihnachtsnacht. Er hielt sie fester, drängte sich näher, doch diesmal gab sie nicht nach.
    Erleichtert ließ er sie los. Wenn sie sich ihm jemals hingeben sollte, würde sie ihn vollkommen besiegen.
    Er räusperte sich und zog seine Tunika zurecht. „Ihr seid verärgert.“
    „Nicht verärgert. Nur …“, sie spitzte die Lippen und strich sich den Rock glatt, „… verwirrt.“
    „Ihr wollt mich also nicht küssen?“
    „Ich kenne Euch nicht.“
    „Was ich heute mit dem Jungen machte – es war richtig.“
    „Ich weiß“, sagte sie. „Aber es entsprach nicht dem Gesetz.“
    In dieser Nacht verfolgten ihn ihre Worte zusammen mit der Erinnerung daran, wie ihr Körper, nur für einen Moment, schwach geworden war. Warum hatte sie ihm widerstanden, nachdem sie ihn wochenlang herausgefordert hatte? Darüber nachzudenken, hinderte ihn daran, sich zu fragen, warum er nun versucht hatte, sie zu nehmen, nachdem er sich ihr wochenlang widersetzt hatte.
    Während er auf den Schlaf wartete, der nicht kommen wollte, erinnerte er sich daran, wie er als Kind im Bett gelegen und seinen Vater mit seiner Mutter im Bett nebenan hatte flüstern hören. Ihre ruhige, liebevolle Stimme hatte seinen Vater immer beschwichtigt, wenn dessen Worte so streng wie die Worte Moses’ geklungen hatten. Nur seine Mutter war in der Lage gewesen, ihn zu einem anderen Blickwinkel zu führen.
    Nach ihrem Tod hatte es niemanden mehr gegeben, der seine Urteile abmildern konnte.
    Und nun sah er sich einer Frau gegenüber, die alles infrage stellte, was ihm wichtig war, die ihn mit Vergnügen in Ketten gelegt sehen würde, wenn dies des Königs Wunsch wäre. Indem sie sein Mitleid mit dem Jungen weckte, hatte sie ihn dazu gebracht, eine Schwäche zu zeigen, die zweifellos seiner Majestät ans Ohr dringen würde.
    Er drehte sich um, schlug in das Federkissen, das bedauerlicherweise wenig Gegenwehr leistete, und verfluchte seine offenen Worte.
    Ihre Frage hatte ihn herausgefordert, sich an die Worte zu halten, mit denen er sie gemaßregelt hatte. Gesetz. Wahrheit. Gerechtigkeit.
    Er rollte sich aus dem Bett und öffnete die Läden, froh über die kalte Luft. Dann blickte er hinauf zu den Sternen, die sie so liebte. Solay glaubte, ihnen einen Sinn geben zu können. Konnte sie das auch für ihn tun?
    Er schloss die Läden und damit auch den Himmel aus. Die Fastenzeit war beinahe zur Hälfte vorüber. Bald würde der König die Frage stellen.
    Er konnte nur eine Antwort geben.

16. KAPITEL
    Solay hielt sich unauffällig im Korridor vor Justins Kammer auf, lauschte auf die Stimmen und versuchte, die Worte des Boten zu verstehen.
    Der Mann war mit leeren Händen angekommen. Seine Nachricht musste zu wichtig sein, um sie aufzuschreiben.
    Sie bückte sich tiefer in der Hoffnung, dass ein paar Worte unter der Tür hindurchdringen würden. Inzwischen war ihr Wunsch, etwas über Justins Angelegenheiten zu erfahren, ebenso drängend geworden wie der des Königs. Trotz Justins Stolz auf seine Ehrlichkeit waren seine Lippen seit London, was seine Arbeit anging, wie versiegelt gewesen.
    Vielleicht gingen das Gesetz und sein Sinn für Gerechtigkeit jetzt getrennte Wege.
    Von Anfang an hatte sie gewusst, dass er gegen den König eingestellt war, aber nie hätte sie gedacht, dass er das Gesetz umgehen würde. Wenn das stimmte, musste sie den Gefühlen widerstehen, die er in ihr weckte. Als er sie geküsst hatte, hatte sie gegen das Verlangen gekämpft, das in ihr aufgestiegen war, seltsam erleichtert, dass er ihnen einen Ausweg gelassen hatte, dass sie noch nicht an ihn gebunden war. Wenn er in Bezug auf das Gesetz lügen konnte, konnte dann auch sein Kuss lügen?
    Als sie hörte, wie die Männer sich verabschiedeten, zog sie sich weiter in den Gang zurück. Dann schlenderte sie auf den kleinen Raum zu, als wäre sie gerade erst gekommen, lächelte den Boten an, als er ging, und blieb dann vor der Tür stehen, darauf wartend, dass Justin sie hereinbat.
    Er tat es nicht.
    „Welche Neuigkeiten hat er

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