Die Tochter Der Goldzeit
Hieb den nackten, gelb-schwarzen Schädel.
Ganz steif wurde Wallers Körper. Er zitterte nicht mehr und fühlte sich wie kalter Stein an. Katanja hörte seinen Atem fliegen.
Der Kampflärm ebbte ab. Etwas fauchte vor dem offenen Stalleingang. Die Großkatze stand drei Schritte entfernt im Gras. Waller Rosch hob das Schwert. Das Tier duckte sich wie zum Sprung. Katanja schob sich vor Waller Rosch. Sie sah der Katze in die Augen.
»Tu es nicht, Katze! Du und ich, wir beide kämpfen nicht.« Sie sprach mit ruhiger, fester Stimme. Und tatsächlich zog sich das Tier zurück.
Von links tauchte ein Mann auf, der Rothaarige. Sein Gesicht war schmal und kantig, seine blauen Augen hell. Sein Atem ging keuchend. Er trug einen roten Mantel über schwarzem Harnisch. Ein abgebrochener Pfeil steckte in seinem Oberschenkel. Ein dünnes Rinnsal Blut floss ihm über das Knie in den Stiefel. An der linken Brustseite war sein Harnisch zerschlagen. Cahns Streitaxt schien ihn dort getroffen zu haben. Aus der Bruchlinie sickerte Blut.
»Was hast du mit meiner Katze gemacht?« Seine Augen verengten sich, seine Züge erhielten etwas Lauerndes. »Bist du die Hexe?« Das Sprechen schien ihm schwerzufallen.
Katanja sah ihm ins Gesicht - und da war etwas in diesen blauen Augen, das ihr Herz berührte, das sich anfühlte wie ein Wiedersehen. Sie versuchte, nicht darauf zu achten, versuchte, in den Geist des Fremden einzudringen.
Doch der wich ihrem Blick aus, spähte an ihr vorbei ins Halbdunkle des Schafstalls und sagte: »Der da hinter dir, der soll herauskommen!«
Der junge Poruzze wollte sich an ihr vorbeischieben, doch Katanja griff hinter sich und hielt Waller Rosch fest.
»Er soll herauskommen und sterben wie ein Mann!«, forderte der Fremde. Er atmete schwer, seine Wunden machten ihm zu schaffen.
»Er wird nicht sterben«, sagte Katanja heiser. Eine Flut von Bildern und Empfindungen stürzten jetzt aus dem Geist des Fremden in ihr Bewusstsein.
»Was redest du, Hexe!« Der fremde Krieger kam näher. Er hob sein Schwert. Blut klebte an der Klinge. Das Blut Cahn Roschs. »Er ist ein Sohn Roschs, der Kerl da hinter dir, habe ich nicht recht? Er muss sterben wie sein Vater und die anderen der Mördersippe.«
»Ich bin keine Hexe!«, zischte Katanja. In ihrem Geist erschien die Palisade eines anderen Walddorfes; sie sah einen zwanzig Winter jüngeren Cahn Rosch vor dem fremden Tor. »Was fällt dir ein? Ich bin Katanja von Altbergen!« Sie sah einen kleinen Jungen; sie sah viele Großkatzen; sie sah Gesichter, Gebäude; sie hörte Namen von Menschen und Orten. »Waller Rosch ist mein Freund. Wenn du ihn töten willst, musst du zuerst mich töten, Mann aus Eyrun!«
»Nein!« Waller Rosch versuchte erneut Katanja zur Seite zu schieben. »Du musst leben!« Katanja hielt ihn fest. »Wenn es mein Schicksal ist, heute an die Festtafel der Götter zu gehen, dann werde ich kämpfen und sterben wie ein Rosch!«
Katanja schlang die Arme um ihn und klammerte sich an ihn. »Lass ihn, Mann aus Eyrun!«, keuchte sie. »Töte ihn nicht! Bitte!« Sie schrie. »Er hat ein gutes Herz, glaub mir .«
Der Rothaarige kam näher, ließ sein Schwert nicht sinken. Hinter ihm schlich seine Katze heran.
»Wir können uns einigen«, flüsterte Katanja. Waller Rosch wand sich in ihren Armen. »Ich weiß, wo du hinwillst. Lass ihn leben, und ich werde dich hinbringen .«
Drei Schritte vor ihnen blieb der fremde Krieger stehen. »Woher weißt du, woher ich komme?« Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. »Woher weißt du, wohin ich gehe?«
»Ich weiß es einfach.« Weil der Rothaarige seine blutige Klinge sinken ließ, hörte auch Waller Rosch endlich auf, sich gegen Katanjas Umklammerung zu wehren. »Du bist Jacub von Eyrun«, sagte sie, »und du willst zur Lichterburg. Ich weiß es einfach.«
Der Mann zuckte zurück. Ungläubig sah er sie an.
»Du willst den Schatz und kennst den Weg nicht.«
Der Mann aus Eyrun öffnete die Lippen, doch kein Wort kam über sie. Er betrachtete die junge Frau mit den Silbersträhnen in den schwarzen Locken, als würde er sie erst jetzt wirklich wahrnehmen.
»Ich aber kenne den Weg zur Lichterburg.« Katanja sprach nun wieder lauter. »Er ist noch weit und gefährlich. Lass ihn uns gemeinsam gehen.« Sie hatte gewonnen, in seinen verwunderten Augen las sie es, in seinen maßlos verblüfften Zügen. »Lass Waller Rosch am Leben, und lass uns gemeinsam nach Osten gehen!«
IV .
D AS B UCH VON DER L IEBE UND VOM T OD
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