Die Tochter Der Goldzeit
Flüchtige!«
»Sorgen?« Der Gnom schneidet eine verächtliche Miene. »Willst du mich beleidigen? Sollen sie doch absaufen, wenn sie unbedingt bei stürmischer See aufbrechen wollen!« Er zieht sich beleidigt in seine Felsnische zurück.
Eine schwarze Wolke löst sich aus der Nebelwand, schwirrt dicht über den Wellen heran - ein Schwarm kleiner Vögel. Der Seewind trägt ihr Gezwitscher bis zur Klippe. Die Wale pflügen durch die Wogen in die Bucht hinein; sechs Kolosse sind es inzwischen. Auf dem größten, einem von Muscheln bedeckten uralten Bullen, sitzt einer mit einem Scheitelflossenkamm. Seine Schuppenhaut glänzt silbrig.
»Ob sie ihn lieben kann?« Sentuya schüttelt den Kopf und lächelt, als staune sie über ihre eigenen Gedanken.
»Mal glauben sie zu lieben, mal glauben sie zu hassen.« Verächtliches Grunzen tönt dumpf aus Sakrydors Felsnische. »Und sind doch meist kalt wie die Fische.«
»Du weißt ja von nichts, du bist der Kaltfisch!« Sentuya zieht die Kette mit der Glaspyramide aus ihrem Kleid. Am Daumen ihrer Linken glänzt ein Goldring mit einem schwarzen Stein. In den sind ein goldener Stern und eine goldene Mondsichel eingelassen. Mit der geschliffenen Pyramide versucht sie, einen Lichtstrahl aufzufangen und in Sakrydors Felsspalte zu leiten. Doch der Vogelschwarm ver-dunkelt den Himmel, die Klippenwand tönt von Gezwitscher und Getschilpe. Zehntausende von Sperlingen lassen sich in Felsspalten, auf Vorsprüngen und oben an der Kante bei den Weißen und den Seegreifen nieder. »Vielleicht kann sie ihn lieben!« Sentuya ruft es gegen den Vogellärm an. »Doch kann er es auch?«
»Sorge ich schon dafür, dass es sich gar nicht erst an die Liebeskrankheit gewöhnt, das Täubchen!« In Sakrydors Felsnische krächzt, klatscht und scharrt es. Ein Schwarm Sperlinge flieht tschilpend aus ihr und flattert zu Sentuya auf den Felsvorsprung. »Werde den Haudrauf einfach ins Meer stürzen, werde ihn in irgendein Messer rennen lassen .«
»Du bist der Haudrauf, garstiger Kobold!« Sentuya reckt die Faust zur Felsnische hinauf. »Viel zu viele schon hast du umkommen lassen! Ihren jungen Gefährten, viel zu viele Pfahlbausiedler, den Hauptmann! Und hättest du nicht wenigstens die jungen Roschs am Brunnen des Walddorfs retten können?«
»Tadelst mich?« Sakrydor streckt seinen Schädel zur Felsnische heraus. »Soll ich mich einmischen in ihre immer gleichen HaudraufSpiele, wenn's nicht unbedingt sein muss? Bin kein Retter der Welt! Lass sie doch kommen und gehen, wie sie wollen!« Er deutet aufs Meer hinaus. »Bald bricht das Täubchen mit all den Kerlen auf. Und wir wissen, wer längst auf sie lauert. Willst du sie alle retten? Lass sie doch untergehen!«
»Du hässlicher Gnom!« Sentuya ist außer sich. »Nichts weißt du von ihren flüchtigen Herzen, nichts ahnst du von ihrer Sehnsucht und Angst!«
»Und du bist eine Diebin!«, zetert Sakrydor. »Oder woher hast du den Mondsternring?« Er packt ihre drohende Faust, hält sie fest. »Woher?« Grimmig beäugt er den schwarzen Stein.
»Der starke Rotschopf hat ihn mir geschenkt.« Sie reißt sich los. »Garstiger Kobold!«
»Wie kann er dir etwas schenken, während er schläft? Diebin!«
»Er hat sich nicht gewehrt, als ich ihm den Ring abzog! Und als er die Augen öffnete, sah er ihn an meiner Hand und wollte ihn nicht zurück - also hat er ihn mir geschenkt!«
Sie streiten, bis die Dämmerung über Wellen und Klippen fällt. Am Abend lichtet sich der Nebel, und der folgende Morgen beginnt wolkenlos. Auf der anderen Seite der Meerenge sieht man jetzt einen Küstenstreifen im Morgenlicht liegen.
Die in der Klippe und die unten in der Bucht sehen mehr als nur einen Küstenstreifen: Dutzende schwarzer Seegreife spähen neben den Weißen von der Klippenkante über das Meer. Unzählige Sperlinge äugen hinüber zur Küste, ganz still sind sie an diesem Morgen. Unten in der Felsbucht drehen Wale ihre Runden. Mitten unter ihnen steht der große, silberschuppige Uquarin auf einem von der Brandung umtosten Felsblock. Um ihn herum sitzen oder liegen sieben türkisfarbene oder blaue Wassermänner. Alle spähen sie hinüber zur anderen Küste.
»Das Täubchen bricht auf.« Sakrydor kriecht aus seiner Felsnische. »Worauf warten wir noch?«
Kapitel 2
Der Brief war mit klarer Handschrift geschrieben und in einer alten, selten gewordenen Sprache. Er las murmelnd.
Meine Lieben. Euer zweiter Brief hat mich erreicht. Treuer Merkur! Den weiten Weg bis
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