Die Tochter Der Goldzeit
fuhr sich erst über den Kahlkopf und rückte dann seine Augenklappe zurecht. Er vermied den Blickkontakt mit dem Rotmantel.
Nadolpher eröffnete nicht nur die Ratsversammlung, sondern führte auch das Wort. Zunächst fasste der Zwerg mit den Augengläsern die Schäden und Verluste der »überraschenden Ereignisse« vom Vortag zusammen, so drückte er sich aus. Er nannte die Zahl der verlorenen Schiffe - fünf von achtzehn - und die Zahl der Verwundeten, Vermissten und Toten. Über hundert von fast tausend Mann galten als tot oder vermisst.
Dann lieferte Nadolpher Erklärungen für das Unerklärliche. Es habe wohl ein Seebeben gegeben und dazu einen Orkan, wie sie in dieser Weltgegend durchaus vorkamen. Vermutlich verfügten die Feinde der Goldzeit über geheime Waffen und könnten Vögel auf ähnliche Weise dressieren und mit Magneten steuern, wie die Jusarikaner selbst es verstanden. Und wahrscheinlich seien solche Magnetwerfer auch schuld an dem unnatürlichen Verhalten der Wale.
Schuld am unnatürlichen Verhalten - so nannte der Zwerg das.
Alle schwiegen. Niemand wollte wissen, warum ohne eines der unter Seeleuten bekannten Vorzeichen aus dem Nichts ein Orkan ausbrechen konnte; niemand fragte, warum die Wale ausschließlich Schiffe der eigenen Flotte angegriffen hatten; niemand gab zu bedenken, dass man es mit nur acht Barbaren-Schiffen zu tun gehabt hatte, von denen das größte gleich zu Beginn der Schlacht brennend gesunken war und von denen sechs nur winzige Einmaster gewesen waren; niemand wollte wissen, wie auf dem achten Schiff, einem kleinen Zweimaster, die unzähligen Sperlinge und die riesigen Greifen Platz gehabt haben sollten, die soviel Schaden auf den Schiffen angerichtet hatten; und niemand erkundigte sich nach den unheimlichen Wasserwesen.
»Die Frau, die wir suchen, konnte fliehen«, erklärte Nadolpher zum Schluss. »Leider. Eine Großkatze, ein Kolk und ein rothaariger Ritter begleiten sie. Doch ihr Ziel ist leicht zu erraten: Sie will zur Erdstadt. Da Hagobaven in unserer Hand ist, dürfte es keine Schwierigkeit sein, die Frau noch in den nächsten Tagen gefangen zu nehmen. Außerdem gibt es eine Spur der Flüchtlinge. Betavar wird noch heute mit fünfzig Mann an Land gehen und ihre Verfolgung aufnehmen.« Er hob den Blick und wandte sich an den schwarzen Eisenkerl. »Suche dir einen Primoffizier und drei Offiziere aus, Subkommander. Von den Barbaren und unseren Verbündeten aus Apenya nimm die besten Späher und Vogelführer und die stärksten Wildsaujäger mit.«
»Das werde ich tun, Kommander!«, tönte es dumpf hinter dem geschlossenen Visier des Eisernen. »Jawohl! Und wir werden sie finden, und alles wird gut werden.« Seine tiefe Stimme war von freundlicher Monotonie. Nie zuvor hatte Bosco jemanden auf diese Weise reden hören. Eine Gänsehaut perlte ihm den Rücken hinunter.
»Ein zweiter Verfolger ist bereits unterwegs, doch wir brauchen noch eine dritte Gruppe, die der Verächterin der Wahren Goldzeit den Weg von der Meeresenge im Osten aus abschneidet.« Nadolpher richtete seinen Blick auf die Königin. »Das übernimmst du mit deinem Flaggschiff. Mein Dolmetscher Ginolu soll dich unterstützen, denn möglicherweise wird das Weib aus Altbergen die Hilfe Eingeborener suchen, deren Sprache wir nicht kennen. Wähle zwanzig erfahrene Kämpfer aus, unterstelle sie einem meiner Suboffiziere und bringe sie mit deinem Schiff zur Meerenge im Osten der Insel. Falls die Frau unserer Falle entkommt, könnte sie versucht sein, über die Brückenruine dort aufs Festland im Nordosten zu fliehen. Das darf keinesfalls geschehen!«
»Wie du meinst«, sagte die Königin, und Bosco glaubte ihren Widerwillen gegen die Befehlsgewalt des Zwerges zu spüren.
»Und nun zu besseren Nachrichten«, sagte Nadolpher mit merklich entspannter Stimme. »Unter den Gefangenen von Hagobaven haben wir eine Frau gefunden, die aus der Bergstadt Altbergen stammt. Roscar von Eyrun hat sie dankenswerterweise vernommen. Wir kennen nun die Lage der Sozietät am Großen See. Und den Weg dorthin kennen wir auch.«
Siedendheiß fuhr es Bosco in die Knochen. Um nicht laut zu schreien, wollte er tief durchatmen, doch sein Brustkorb schien plötzlich in einem Schraubstock zu stecken. Er senkte den Blick, biss die Zähne zusammen und wartete auf klare Gedanken.
Nadolpher äugte inzwischen zu seinem Kriegsmeister. »Wähle einen Primoffizier und zwei Offiziere aus, Subkommander Catavar, stelle ein Heer aus zweihundert
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