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Die Tochter Der Goldzeit

Die Tochter Der Goldzeit

Titel: Die Tochter Der Goldzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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Magiers. Auf dem steinernen Herd stand ein Eisentopf. Dampf stieg aus ihm. Es roch nach Baumrinde, Sauerwein und Fackelharz.
    Sie stieg eine schmale Treppe hinauf und fand Gulwyon unter dem offenen siebeneckigen Kuppelpavillon seiner Dachterrasse. Im Schein der sieben Fackeln, die an den sieben Säulen des Pavillons steckten, hockte der Magier auf dem Boden vor einer großen, flachen Kupferschale. Wie in Trance wiegte er seinen Oberkörper hin und her. Er sprach mit Finstergeistern, ohne Zweifel. Auf der letzten Stufe des Treppenaufgangs ließ Torya sich nieder, leise, um ihn nicht zu stören.
    Gulwyons großer knochiger Körper war in einen dunkelroten Lederumhang gehüllt. Manchmal, wenn sein Oberkörper nach hinten schaukelte, legte der Magier seinen ungewöhnlich großen Kopf in den Nacken, und Torya konnte sein weißes, von angespannter Konzentration verzerrtes Gesicht sehen, ein hohlwangiges, zerfurchtes Gesicht. Die Augen halb geschlossen, bewegte er stumm seine blutleeren Lippen; von Zeit zu Zeit nur hörte Torya heiseres Gemurmel oder flehendes Seufzen. Gulwyon benutzte das Pulver getrockneter Pilze, um sich in derartige Zustände zu bringen; Pilze, die nur er einnehmen konnte, ohne zu sterben - so hatte er ihr eingeschärft.
    Um ihn herum standen entkorkte Flaschen und kleine Truhen mit hochgeklappten Deckeln. Auch geöffnete Lederbeutel verschiedener Größe entdeckte Torya. Sie enthielten Blätter, Wurzeln, Blütenextrakt und Pulver aus getrockneten Tierorganen. Alles Dinge, die Gulwyon für seine Beschwörungsrituale brauchte - für seine »Reisen in die Finsterwelten«, wie er selbst das nannte. Vor ihm, in der Kupferschale, lag ein rundes Etwas. Wieder und wieder musste Torya hinüberspähen, bis sie den Totenschädel erkannte. Sie schauderte.
    Manchmal beugte Gulwyon sich über ihn und vollführte dabei schlangenartige Bewegungen mit den Armen. Von Zeit zu Zeit griff er scheinbar wahllos in einen der Lederbeutel oder in eine der Truhen, entnahm ihnen eine Prise irgendeines Pulvers, irgendeines Krautes und streute es über den Schädel. Hin und wieder führte er seine Finger auch zu den Lippen und steckte sich ein paar Krümel des getrockneten Rauschpilzes in den Mund. Ein oder zwei Stunden vergingen so. Der abnehmende Mond stieg in den Himmel über Albodon. Der Magier murmelte und seufzte. Torya fröstelte.
    Irgendwann dann geschah es: Eine dünne Rauchsäule stieg aus der Kupferschale auf. Der Schädel selbst begann von innen zu leuchten, und plötzlich züngelten Flämmchen aus seinen Öffnungen. Torya hielt den Atem an. Täuschte sie sich, oder bewegte sich der Schädel? Nein, das konnte nicht sein! Oder doch? Gulwyon beugte sich tief über den brennenden Totenschädel, breitete die Arme aus und erstarrte in völliger Bewegungslosigkeit. Lange verharrte er so und fixierte die Flämmchen, die aus den Augenhöhlen des Schädels züngelten, und das fahle Licht, das sie verbreiteten. Er sah aus wie einer, der lauschte und spähte.
    Schließlich erloschen die Flammen und das Leuchten. Der Rauch löste sich auf, Gulwyon ließ Arme und Kopf sinken, schöpfte Atem.
    Endlich erhob er sich. Über drei flache Stufen stieg der Magier von dem Steinsockel, auf dem der Pavillon ruhte. »Komm zu mir«, rief er.
    Torya stand auf und lief zu ihm. Er fasste sie an beiden Handgelenken und sah ihr in die Augen. Sein schweißnasses Gesicht war aschfahl, seine Augenlider zuckten.
    »Was hast du gesehen auf deiner Reise, Gulwyon?«
    »Fremde aus dem fernen Westen«, flüsterte der Magier. »Sie streben nach einer neuen Goldzeit. Die Königin von Albridan wird sich mit ihnen verbünden.«
    »Die Königin ...?« Torya biss sich auf die Unterlippe. »Die Krone gehört mir?«
    »Die Zeit ist reif, nimm sie dir.« »Wann, Meister Gulwyon, wann?«
    »In zehn Tagen.« Der Magier blickte in den Nachthimmel. Der Mond stand über ihnen. »In der mondlosen Nacht vor Neumond.«
    Eine Woche vor ihrem und Albus' Geburtstag also. Sie schob den Gedanken beiseite. »Und wie?«
    Er sah sie an und schwieg. Torya dachte daran, dass schon ihre Mutter in diese rätselhaften grauen Augen geschaut hatte. War der Magier nicht wie eine Brücke zwischen ihr und der Toten?
    »Die Thronritter warten ab«, sagte Gulwyon. »Keiner wird dir helfen. Du musst dir selbst nehmen, was du begehrst.«

Kapitel 16
    Seltsam war es, noch immer ein- und auszuatmen. Seltsam, noch immer Angst und Kälte und Hass in den Knochen zu spüren, noch immer den Himmel über

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