Die Tochter Der Goldzeit
ihrem Bruder begnadigen lassen. Taydal war mit einem messerscharfen Verstand gesegnet und hatte einen leichten Silberblick. Burgas war, abgesehen von seinem durch zahllose Narben verwüsteten Gesicht, ein Bild von einem Mann.
»Der König ist krank«, sagte Torya leise. »Geier und Ratten schielen nach der Krone, und wer Einfluss und Macht hat, trachtet nach noch mehr Einfluss und Macht. Ich verlasse mich auf euch.« Die Gardisten neigten die Köpfe. »Haltet Augen und Ohren offen, verdreifacht die Posten am Portal.« Die beiden jungen Burschen waren nicht die Einzigen in der Garde, die der Prinzessin Freiheit oder Leben und eine Ausbildung in der Burg des Thronritters Olfarkan zu verdanken hatten.
Torya wandte sich ab, betrat die Zimmerflucht und schloss die Tür hinter sich. Die alte Kammerdienerin trug ein Tablett mit dem abendlichen Wein zur königlichen Schlafkammer. Die Prinzessin nahm es ihr ab. »Ich bringe es meinem Bruder selbst, du kannst schlafen gehen.« Sie wartete, bis die Dienerin in einem der Räume verschwunden war, dann lief sie zu Albus' Schlafzimmer.
Im Vorraum stellte sie das Tablett auf einer Anrichte ab und zog ein Fläschchen aus ihrem Mantel. Sie entkorkte es und träufelte zehn Tropfen einer farblosen Flüssigkeit in den Weinkelch. Gulwyon hatte ihr das Gift gegeben. Seit dem Tod ihres Vaters sorgte Torya dafür, dass ihr Bruder es regelmäßig mit dem Abendwein zu sich nahm. Es schwächte den Willen und verdüsterte das Gemüt.
»Bist du es, Torya?«, rief Albus aus seinem Schlafzimmer.
Die Prinzessin steckte das Fläschchen in die Manteltasche. »Ich bringe deinen Wein.« Das Tablett in Händen eilte sie in Albus' Schlafgemach. Er hing müde und bleich in einem Sessel. Ein Diener hockte neben ihm und zupfte die Harfe. Der Vorleser stand schon am Fenster.
Torya schenkte Albus den Wein ein und reichte ihm den Kelch. Abend für Abend tat sie das, seit ihr Vater tot war. Albus trank. Unter schweren Lidern sah er zu ihr auf. Er war so jung und schien doch ausgelaugt wie ein Greis. »Trink aus, mein Bruder.« Sie strich über sein blondes Haar und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn.
»Gute Nacht«, sagte er, und: »Vielen Dank, Schwester. Du bist so gut zu mir.«
Sie lächelte. »Walliser und der Thronritter Olfarkan bitten darum, empfangen zu werden. Sie wollen mit dir über Maßnahmen gegen die Tiefländer beraten. Soll ich den Hofmarschall beauftragen, ein Gastmahl vorzubereiten?«
»Das ist eine gute Idee, Torya.«
»Wir sollten Olfarkan und Walliser noch vor den Feiern zu unserem Geburtstag empfangen. Vielleicht gegen Ende des Monats?«
»Tu alles, wie du es für richtig hältst, meine Schwester.« Ein gequältes Lächeln huschte über Albus' Gesicht. »Ich vertraue dir.«
Sie verließ sein Schlafgemach. Über die Zimmerflucht eilte sie zum Aufgang der Wendeltreppe und stieg zu ihren eigenen Räumen hinauf. Das Gemäuer des langen Ganges dort war zwischen den Türen mit Spiegeln verkleidet. Torya verlangsamte ihren Schritt, als sie an ihnen vorbeiging. Vor dem letzten Spiegel blieb sie stehen.
Sie öffnete den schwarzen Samtmantel, den sie seit dem Tod ihres Vaters zu tragen pflegte, und stemmte die Fäuste in die Hüften. Prüfend folgte ihr Blick den geschwungenen Linien ihres Körpers unter dem dunkelroten Kleid. Sie betrachtete ihre Taille, ihre Brüste, ihre langen blonden Locken, ihre vollen Lippen, ihre grünen Augen. »Eine Königin«, sagte sie leise. »Die künftige Königin von Albridan.«
Über die nächste Wendeltreppe lief sie hinauf zum Dachgeschoss des Palastes. Die beiden Gardisten des Magiers öffneten ihr die schwere Tür zum Flachdach. Es war längst dunkel, ein kühler Wind ging. Ein sternklarer Himmel wölbte sich über der Hauptstadt Albodon. Tief im Osten hing der abnehmende Mond über dem Horizont. Torya eilte zu dem kastellartigen Gebäude in der Mitte des Flachdaches.
Die Umrisse eines großen Tieres lösten sich aus dem Gemäuer -der schwarze Wachcanide des Magiers. Ohne Eile trottete er ihr entgegen, beschnupperte sie und geleitete sie zum Eingang. Er kannte sie, seit sie ein kleines Kind war. Torya betrat das kleine Kastell.
Sie schlich durch den Arbeitsraum des Magiers. An den Wänden brannten Fackeln. In offenen Schränken stapelten sich Papierrollen und Bücher, auf Tischen lagen Landkarten und Briefbögen, auf wuchtigen Anrichten standen Töpfe, Flaschen und Krüge. An einer offenen Kleidertruhe lehnte die langstielige Streitaxt des
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