Die Tochter Der Goldzeit
Albus hatte die Augen geschlossen, er lächelte. Torya stach zu - auch das hatte sie geübt. Die Klinge fuhr in die Kehle des Lächelnden. Die Frau stieß einen spitzen Schrei aus und raufte sich das Haar.
Torya zerrte den Dolch ein Stück zur Seite, so dass die Klinge einen langen, klaffenden Spalt hinterließ, als sie sie aus der Kehle ihres Bruders zog. Albus riss die Augen auf und griff sich an den Hals. Hellrotes Blut pulsierte zwischen seinen Fingern hindurch aufs Laken und auf die Knie der Frau. Sein Brustkorb bäumte sich auf, als er versuchte, Luft zu holen. Es gurgelte und brodelte unter seinen blutigen Fingern.
Torya trat vom Bett zurück. Sie warf der Frau den Dolch zwischen die Schenkel und rannte schreiend aus dem Schlafzimmer des Königs. »Verrat!«, brüllte sie. »Verrat ...!«
Schon stürmten ihre beiden Gardisten in die Zimmerflucht. »Mörderin!«, schrie Torya. Sie deutete auf die offene Tür. »Sie hat meinen Bruder ermordet! Verrat!«
Taydal und Burgas stürzten durch die Tür. Drinnen hörte Torya dumpfe Schläge und die Schreie der Frau. Sechs weitere Gardisten stürmten heran. »Verrat!«, rief sie ihnen unter Tränen entgegen. »Der König ist tot! Lauft in den Festsaal! Der Hofmarschall hat die Mörderin geschickt! Legt ihn in Ketten, bevor er fliehen kann!«
Die Gardisten machten kehrt und rannten aus dem Südflügel.
Taydal und Burgas zerrten die nackte Frau aus dem königlichen Schlafzimmer. Sie war halb betäubt und blutete aus einer Wunde an der Schläfe. »In den Kerkerkeller mit ihr!«, rief Torya. »Korban soll nicht ruhen, bis sie die Namen sämtlicher Verräter preisgegeben hat!« Ihre Throngardisten schleiften die Schreiende zur Wendeltreppe und stießen sie hinunter.
Torya wandte sich ab. Im Waschraum wusch sie sich das Blut von den Händen. Ihre Brust hatte sich mit kaltem Stein gefüllt, sie fühlte nichts mehr, nichts. Als sie sich abtrocknete, hob sie den Kopf und blickte in einen kleinen Spiegel an der Wand über dem Waschtisch. Eine Fremde schaute sie an. Hinter der Fremden, an der Tür, stand eine in Dunkelrot gehüllte Gestalt. Torya fuhr herum.
Gulwyon kam auf sie zu. Seine Augen glühten. »Das war deine Bluttaufe.« Er legte ihr die Hände auf die Schultern. »Nun hat Albridan eine starke Königin.«
Kapitel 19
Eines Tages, nach dem Unterricht, überreichte Roscar von Eyrun seinem Pflegesohn einen goldenen Ring mit einem großen, schwarzen Edelstein. »Trage ihn, er gehört dir.«
Sprachlos vor Staunen betrachtete Jacub den Ring. In den schwarzen Edelstein waren ein goldener Stern und eine goldene Mondsichel eingelassen - die Insignien des Druiden. Den gleichen Ring trug auch Roscar von Eyrun an der rechten Hand.
Weil Jacub zögerte, steckte sein Ziehvater ihm den Ring an den Finger. »Ab heute trägst du meine Zeichen«, sagte er, und seine Stimme klang irgendwie feierlich. »Niemand nennt dich mehr ungestraft einen Bastard. Auf der ganzen Insel giltst du fortan als Sohn des Druiden Roscar von Eyrun.«
Seit sieben Wintern lebte Jacub bei dem Druiden, arbeitete auf seinem Hof und auf seinen Weiden, saß zu seinen Füßen, um zu lernen, begleitete ihn in die Wildnis, um Kräuter, Pilze und Bäume kennen zu lernen - und noch nie hatte Roscar ihm ein Geschenk gemacht. Jacub war außer sich vor Freude.
Nicht lange danach erklärte der Druide, der Fürst brauche seinen Rat und es sei Zeit für eine gemeinsame Reise in die Hauptstadtfestung. Die hieß Casteyrunia und lag drei Tagesmärsche weiter nördlich an der Küste. Runynger von Eyrun residierte dort.
Nicht selten schickte der Fürst einen Ritter, um den Rat des Druiden einzuholen. Einmal war er sogar persönlich mit seinem Tross auf Roscars Gehöft erschienen. Dass Roscar in die Hauptstadt wanderte, war noch nie vorgekommen. Doch Jacub stellte keine Fragen -er war froh, etwas Neues sehen und das Dorf und seine feindseligen Bewohner eine Zeitlang hinter sich lassen zu können.
Dem Druiden schien dieser Besuch sehr wichtig zu sein. Er ließ Jacub einen neuen Mantel schneidern und neue Stiefel anfertigen und schnitt ihm die Haare, bevor sie aufbrachen. Er selbst allerdings leg-te weder neue Kleider an, noch stutzte er sich Haare und Bart.
Sie wanderten an der Küste entlang. Yiou begleitete sie. Die Großkatze hatte ein graublaues, schwarz getigertes Fell. Am dritten Tag, als nur noch zwei Stunden Fußweg sie vom Fürstensitz trennten, sagte Roscar: »Du wirst in Casteyrunia bleiben.« Er verlangsamte
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