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Die Tochter Der Goldzeit

Die Tochter Der Goldzeit

Titel: Die Tochter Der Goldzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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Westentaschen ab - das Silberdöschen mit dem Gift steckte in der rechten. Schließlich ballte er die Linke und führte den schwarzen Stein seines Siegelringes an die Lippen. Er küsste das Zeichen seines Ziehvaters - den goldenen Stern in der goldenen Mondsichel. Danach trat er aus dem Zelt. Die Sonne war gesunken, hinter den Hügeln im Westen glühte der Himmel rötlich. Nicht mehr lange, dann würde der Vollmond aufgehen.
    Blut dampfte aus der Schüssel der Altarmutter vor dem Eingang. Sie zuckte zurück, als die Großkatze aus dem Zelt huschte und neben Jacub stehen blieb. Doch sie fasste sich schnell wieder, tauchte den Federbusch in die Schüssel und bestrich erst Jacubs Mund, dann seine ausgestreckten Handrücken mit Blut; so schrieb es das Gesetz der Großen Mutter vor. »Folge mir in den Blutgrund, Todgeweihter!« Sie drehte sich um und schritt vor Jacub zur Senke hinunter.
    Jenseits der Senke, etwa hundertfünfzig Schritte entfernt, sah Jacub die andere Greisin seinen Gegner zum Blutgrund führen. Runynger trug eine helle Weste, das weißblonde Haar hatte er sich mit einem weißen Tuch aus der Stirn gebunden.
    Auf dem Felstisch hockten die Trommler. Rund um die Senke hatten sich die Jungfrauen aufgestellt. Sie trugen Schwarz, weil bald einer sterben würde, der vielleicht eine von ihnen zur Frau genommen hätte. Wenn der Kampf begann, würden sie dem Blutgrund den Rücken zuwenden, um seinen Tod nicht mit anschauen zu müssen.
    »Geh«, zischte Jacub seiner Großkatze zu. »Geh hinauf zum Alker und warte. Und wenn ich nicht mehr aus der Blutgrundsenke steige, flieh in die Wälder. Leb wohl! Danke für deine Treue.«
    Yiou reagierte nicht. Erst als er sie zum dritten Mal anzischte, trollte sie sich und schlich hinauf zum Waldrand, wo Jacubs Reittier wartete.
    Die Sackpfeifen verstummten, der Erste Rauschmeister trat mit einem Krug an den Felstisch, füllte zwei Becher und überreichte sie zwei Rittern. Die schritten unter dem Trommelwirbel zu den Blutgrundkämpfern, einer zum Fürstensohn, der andere zu Jacub.
    Der Ritter, der Runynger den Becher reichte und das Schwert übergeben würde, war sein Fechtmeister Ulban. Jacub erhielt Becher und Klinge von Sideryan, dem Führer der Fürstengarde. »Nimm und trink«, sagte der, wie es der Blutgrundritus vorschrieb. »Vielleicht dein letzter Schluck.«
    Jacub hob den Becher über den Kopf und holte das Döschen mit dem Gift aus der Tasche. Mit dem Daumennagel schnippte er den Deckel auf und drehte das kleine Silbergefäß für alle sichtbar um. Das weiße Pulver rieselte heraus, der Seewind trug es in die Senke hinein. Der Trommelrhythmus stockte einen Wimpernschlag lang, und drüben, auf der anderen Seite der Senke, hielt Runynger kurz inne, bevor er den Becher an die Lippen setzte.
    Möglich, dass er nichts von dem Gift wusste; möglich, dass der kranke Fürst allein entschieden hatte, seinem einzigen Sohn auf diese Weise das Blutgrundduell zu ersparen. Jetzt aber wusste Runynger Bescheid; alle, die ihre Sinne und ihren Verstand zu gebrauchen wagten, wussten jetzt Bescheid: Der kranke Fürst hatte Jacub aufgefordert, sich zu vergiften; den Fürstenthron auch künftig in der eigenen Sippe zu wissen, bedeutete ihm mehr als die Gerechtigkeit der Großen Mutter.
    Jacub blickte in Sideryans graue Augen, während er an dem herben Gebräu nippte. Sideryan gehörte zu den wenigen Männern am Fürstenhof, denen Jacub vertrauen konnte. »Viele hier wünschen deinen Tod«, raunte Sideryan, während er Jacubs Schwert zog. »Fliehe zu den Robbeninseln, wenn du siegen solltest. Warte dort, bis der Fürst gestorben ist.« Er nahm den Becher und reichte ihm die Klinge. »Und du musst siegen, hörst du? Eyrun braucht dich.«
    Sideryan und der fürstliche Fechtmeister Ulban brachten die Becher zurück zum Felstisch und reihten sich wieder unter die Ritter und fürstlichen Eidmänner ein, die dem Ritus beiwohnten. Die Trommeln hörten auf zu wirbeln, schlugen jetzt den Rhythmus eines Herzschlages. Jacub stemmte sein Schwert eine Armlänge vor sich in die Erde und legte beide Hände auf den Knauf. Auf der anderen Seite der Senke nahm sein Gegner die gleiche Haltung ein. Längst hatte die Dämmerung die Konturen seiner Gestalt verwischt.
    Alles geschah, wie es das Gesetz der Großen Mutter vorschrieb. Alle warteten auf den Vollmond.
    Eines regelte der Ritus für Blutgrundduelle nicht: den Umgang mit der Wahrheit. Die Wahrheit lautete: Jacub musste sterben, so oder so. Entweder fiel

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