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Die Tochter Der Goldzeit

Die Tochter Der Goldzeit

Titel: Die Tochter Der Goldzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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Stimme sie aus einem Fiebertraum, die die Wärterinnen beschimpfte. Später erfuhr sie, dass es die Stimme des Sklavenhändlers gewesen war.
    »Wer ist Janner?«, fragte die Frau auf der Pritsche rechts von ihr, während die Wärterinnen ihr eines Morgens feuchte Eiswickel anlegten. Sie hatte aschblondes Haar und sprach den Dialekt der Leute von den Westmeerküsten. »Du rufst ihn, wenn du fieberst, du rufst ihn im Schlaf - >Janner, Janner, komm zurück!<, ständig geht das so.« Die Frau war hohlwangig und hatte verhärmte Züge. »Wer ist dieser Kerl?«
    Katanja klapperte mit den Zähnen.
    »Lass sie in Ruhe«, sagte die Frau auf der Pritsche links von ihr. Sie musste aus der fernen Südwildwelt stammen, denn ihre Haut war sehr dunkel, fast schwarz. »Siehst du nicht, dass sie sich quält?«
    »Hat er dich sitzenlassen?«, bohrte die andere.
    Katanja zog sich die Decke über das Gesicht.
    Zwei Tage, nachdem der Sklavenhändler nach ihr geschaut hatte, kamen keine Wärterinnen mehr zu ihr an die Pritsche. Nicht einmal mehr Wasser brachte man ihr. Man überließ sie dem Tod. Auch sie selbst überließ sich dem Tod. Die Frauen von den Nachbarpritschen schlichen durch das gesamte Gewölbe und bettelten bei den anderen Gefangenen um Wasser für sie.
    Bald unterschied ihr fieberndes Hirn nicht mehr zwischen Wachen und Träumen. Janners geliebtes Gesicht schwebte über ihr, immer. Dazu zogen Stimmen und Bilder aus frühester Kindheit durch ihr Delirium. Bilder von Grittana, von ihrem Vater, von balgenden Knaben, von einem schwarzen Lammbock, von einem kläffenden Hütedogger; der wich vor einer mädchenhaften Frau zurück, der sprang einen Südländer an, der lag schließlich blutend im Farn.
    Sterbend begriff sie, dass die Rede von der Vergangenheit täuschte. Alles, was jemals geschehen war, blieb gegenwärtig, immer; und alles, was gerade geschah, war Blüte und Frucht dessen, was unwiderruflich geschehen war.
    Dann weckte sie einer mitten in der Nacht. Die Umrisse einer kleinen, verwachsenen Gestalt beugten sich über sie, Katanja spürte den festen Griff einer knochigen Hand im Nacken. Eine Stimme drang durch die schweren Nebel ihres Fiebers. »Sie muss trinken«, krächzte die Stimme. Die knochige Hand hob ihren Kopf, führte einen Becher an ihre Lippen, und sie schmeckte eine kalte, süße Flüssigkeit. Schnarchen und leises Weinen drang von allen Seiten aus der Dunkelheit, während sie trank. Der Fackelschein vor dem Gitter am Eingang des Gewölbekellers wirkte noch matter als sonst. Mücken sirrten. Der Becher löste sich von ihren Lippen, die Umrisse des Unbekannten verschwanden kurz aus ihrem Blickfeld. »Sie muss essen«, flüsterte er nur einen Atemzug später, als sein Schädel wieder über ihr auftauchte. Sie glaubte, schmutziges, zerknautschtes Leder zu sehen, wo sie ein Gesicht erwartet hatte. Er führte ihr einen vollen Löffel in den Mund. »Essen muss das Täubchen, essen.« Sie kaute und schluckte. Es schmeckte nach Obst, es schmeckte nach Honig. Schließlich legte der Fremde seine knochige Linke auf ihre Stirn, seine Rechte auf ihre Brust. »Sie muss schlafen«, flüsterte er, »tief schlafen.« Etwas Kühles strömte von seinen Klauenhänden in ihren ausgezehrten Körper, löschte die grellen Angstbilder in ihrem Schädel und zog ihr Bewusstsein in eine große, lichtlose Stille.
    Zwei Tage danach erwachte sie. Das Fieber war gewichen, ihr Geist klar. Sie aß und trank und schlief weiter. Drei Tage später, am frühen Morgen, stützten die beiden Frauen sie, die neben ihr lagerten, damit sie zu einem der drei Kellerfenster gehen und frische Luft atmen konnte. Sie zitterte. Diesmal vor Schwäche und weil sie fror.
    »Manchmal, wenn mich nachts das Klappern ihrer Würfel weckt, sehe ich einen der Anderen an deiner Pritsche sitzen«, sagte die Schwarze aus der fernen Südwildwelt. Im Fieber hatte Katanja einmal ohne Absicht ihren Geist berührt: Kraft und Zuversicht pulsierten in ihm.
    »Wer soll das sein, >einer der Anderem?«, sagte die zweite Frau. »Es gibt sie nicht, die Anderen! Dashirin selbst verbietet es, von ihnen zu sprechen!« Auch deren Geist hatte Katanja schon berührt: Er fühlte sich bitter an, und seine Gedanken drehten sich im Kreis.
    »Wer ist Dashirin?«, fragte die Schwarze.
    »Ein Gott«, entgegnete die andere, »vielleicht der einzige Gott. Er wird die Neue Goldzeit heraufführen. Wer ihm dient, wird dann mit ihm herrschen.«
    »Was soll das sein, >ein Gott