Die Tochter Der Goldzeit
runzelte die Stirn. »Und wieso >herrschen«
Katanja sagte nichts.
Viele Gefangene drängten sich unter der vergitterten Fensteröffnung, vor allem Frauen und Kinder. Sie wechselten sich unter ihr ab, und Katanja hörte, wie sie die eisige Luft einsogen. Die beiden Frauen warteten mit ihr, bis sie an der Reihe waren.
»Wie lange bin ich schon hier?«, wollte Katanja wissen.
»Du hast dich bereits fiebernd auf deiner Pritsche gewälzt, als sie mich in dieses verfluchte Gewölbe schleppten«, sagte die Frau aus der Südwildwelt. »Und das ist noch nicht einmal zwei Monde her.«
Zum ersten Mal sah Katanja ihr ins Gesicht. Die schwarze Frau war schön und hatte große, bernsteinfarbene Augen. Stolz lag in ihren trotzigen Zügen.
»Vier Monde bist du jetzt hier unten«, sagte die andere, die Blonde von der Westmeerküste. »Als sie dich brachten, war es noch Sommer, jetzt neigt sich der zwölfte Mond, und ich bin immer noch hier.«
»Der zwölfte Mond?« Katanja wollte es nicht glauben.
»Der zwölfte Mond des Jahres 487 nach der Götternacht, jawohl. Sieh zu, dass du schnell zu Kräften kommst, schönes Mädchen, dann kannst du das Gewölbe nach der Schneeschmelze verlassen. Um diese Zeit nämlich hält der Sklavenhändler seinen Frühjahrssklavenmarkt ab. Eine wie dich hätte er schon im Herbst für fünf Goldstücke verkaufen können, wenn du gesund gewesen wärst.« Sie wandte sich an die Schwarzhäutige. »Und eine wie dich auch, wenn er dich früher eingefangen hätte. Eine wie mich jedoch ...« Sie seufzte. »Ich werd wohl in diesem Loch verrecken ...«
»Wo haben seine Jäger dich gefangen?«, fragte die Schwarze.
»An einer Pyramide, in einer Ruinenstadt am Großen Strom .« Katanja stammelte wie halb betäubt - die Worte der Blonden hatten sie erschreckt: Sklavenmarkt, verkaufen, fünf Goldstücke, verrecken ...
»Du warst allein?«
»Ja«, flüsterte sie. »Nein ...« Sie verstummte, dachte an Janner und senkte den Blick.
Der Platz vor dem Fenster wurde frei. Die Frauen führten sie unter das Gitter. Katanja hob den Blick. Das Fenster war ebenerdig, man sah über ein verschneites Geröllfeld bis zu einer Mauer. Rostige Eisenspitzen ragten dicht an dicht aus dem Schnee auf der Mauerkrone. Darüber zogen graue Wolken durch den Winterhimmel. Sie dachte an Grittana, an Janner, an ihre Familie, und plötzlich war es, als würden die Wolken die Gesichtszüge all der geliebten Menschen aus Altbergen annehmen. Tränen strömten ihr über die Wangen. Sollte sie denn keinen von ihnen jemals wiedersehen?
Die schwarze Frau zog sie an sich, küsste sie auf den Scheitel, hielt sie fest. »Irgendwann geht jede Nacht vorüber«, flüsterte sie.
Draußen knirschte Schnee unter Schritten, jemand ließ sich seitlich des Fensters im verschneiten Geröll nieder. Katanja sah nur einen schmalen Rücken. Die Frauen neben ihr schienen niemanden zu bemerken. Sie sprachen leise miteinander.
»Wer bist du?« Katanja erkannte den, der sie getränkt, gefüttert und gehellt hatte. »Hättest du mich doch sterben lassen. Niemals werde ich tun können, wozu meine Mutter mich geboren hat, niemals die Lichterburg erreichen. Ich bin verloren .«
Die beiden Frauen neben ihr verstummten und beäugten sie verwundert. Sie begriffen nicht, mit wem sie sprach. Der vor dem Kellerfenster aber streifte die Lederkapuze von seinem großen Schädel. Weißes Langhaar fiel auf knochige Schultern, rot funkelnde Augen blitzten Katanja an, ein grau-schwarzes, hohlwangiges und tausendfach zerfurchtes Gesicht verzerrte sich, als wollte sein eckiger Mund gleich einen zornigen Fluch ausstoßen. Katanja hielt erschrocken den Atem an. »Dummes Täubchen.« Nicht Zorn, ein Lächeln verzerrte das ungeheuerliche Gesicht. »Noch ist nichts verloren. Erkennt sie mich denn nicht?«
Kapitel 10
Elf Freiwillige begleiteten die Meisterin. Bosco, Tiban und Honnis wichen nicht von ihrer Seite. Vier Jäger schlichen voraus, vier bildeten die Nachhut. Alle waren mit Nacht-Binoculars ausgerüstet. Gewöhnlich wanderte man drei Stunden bis nach Pugium. Inzwischen jedoch musste man Umwege nehmen, denn Späher hatten Patrouillen des Eisernen in der Umgebung der Ruinenstadt entdeckt.
Sie wählten die Abenddämmerung für den Aufbruch. Bosco hatte darauf bestanden. Er kannte die Küstenbarbaren am besten und wusste, wie sehr sie die Nacht im Wald und in der Wildnis fürchteten. In ihrer Vorstellung gehörte der nächtliche Wald den Dämonen.
Um den Kriegern des
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