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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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wenig älter als Jonas; er hatte sein Auskommen als Dozent am Gymnasium von Ulm, der Geburtsstadt seiner Mutter. Nachdem bei einem Brand im Straßburger Gerberviertel beide Eltern ums Leben gekommen waren, hatte er, halbherzig und in aller Eile, das Magisterexamen an der dortigen Universität vollendet, sich von seinem einzigen Freund Jonas verabschiedet und war hierher in das Haus seines Großvaters gezogen. Sein Großvater hatte zu den siebzehn Ulmer Patrizierfamilien gehört; zeitlebens hatte er seinen Enkel gedrängt, in die städtische Politik zu gehen, zumal seit Kaiser Karl der Adelstitel der Patrizier an die Nachkommen vererbt wurde. Doch Conrad hatte dem Streben nach öffentlichen Ämtern nie etwas abgewinnen können. Er warein Träumer, ein Universalgelehrter, der sich ebenso für den Kosmos als Ganzes wie für dessen geringste Teilchen begeisterte. Und es gefiel ihm, junge Leute auf das Universitätsstudium vorzubereiten. Niemals hätte er sich in ein Leben als Ratsherr ergeben.
    «Ich hoffe, du fühlst dich wohl in Ulm», waren seine Worte gewesen, als er Jonas bei ihrem Wiedersehen herzlich umarmt und anschließend durch das stattliche Haus geführt hatte. Es stand in einer stillen Seitenstraße zwischen Rathaus und Metzgerturm, und außer ihm wohnte nach dem Tod des Großvaters nur noch eine unverheiratete Tante im Haushalt, die ihm die Wirtschaft führte. «Diese Stadt ist riesig, reich und mächtig, jedoch auf eine lutherisch nüchterne Art, die allem Neuen zutiefst abgeneigt ist. Sie hat trotzdem etwas Behagliches, du wirst sehen. Es lässt sich gut leben hier. Selbstverständlich kannst du so lange bei mir wohnen, wie du willst. Platz haben wir ja.»
    Jonas blieb gar keine andere Wahl, denn es war für einen Fremden so gut wie unmöglich, eine einigermaßen wohlfeile Mietwohnung oder Kammer zu finden, und Geld für ein Gasthaus hatte er nicht. Sein Angebot, einen wöchentlichen Mietzins zu zahlen, schlug sein Freund energisch aus.
    Ohne Conrad hätte er sich die ersten Tage und Wochen sicherlich in einem stillen Winkel verkrochen und sich nicht mehr gerührt. Melancholie hatte ihn befallen wie eine schwere Krankheit. Conrad indessen hörte nicht auf, sich in zart fühlender Weise um ihn zu kümmern. Jonas reagierte fast unwillig auf die unablässigen Aufforderungen, unter Leute zu gehen und sich als Hauslehrer anzubieten. Schließlich raffte er sich dann doch auf, tappte wie ein Schlafwandler durch die Gassen und kam nur zu sich, wenn er in irgendwelchen schwarzhaarigen, schönen und jungen Frauen Marthe-Marie zu erkennen glaubte. Sie wusste doch, dass er nach Ulm hatte gehen wollen; vielleicht war sie ihm ja nachgereist. Es wurde ihm zur Manie, nach ihr Ausschau zu halten, wo immer erwar – selbst im Haus seines Freundes lauschte er auf ihre leichten Schritte im Treppenhaus.
    Erst in der zweiten Woche nach seiner Ankunft fand dieser Wahn ein Ende, als er sie an der Staufermauer der ehemaligen Königspfalz stehen sah, im Gespräch mit einer anderen Frau, das schwarze, glänzende Haar nur nachlässig unter die Haube gesteckt. Sie trug sogar das lindgrüne Leinenkleid, das er immer so an ihr gemocht hatte.
    «Marthe-Marie!» Mit schnellen Schritten war er bei ihr, berührte sie sacht bei der Schulter, bis sie ihm das Gesicht zuwandte: verbrauchte Züge, die sich jetzt, mit dem fast zahnlos grinsenden Mund und der Narbe unter dem Auge, zu einer Fratze verzerrten, als habe er dem Teufel persönlich ins Antlitz geblickt. In diesem Moment kam er zu sich; er schalt sich einen elenden Narren und erkannte, dass seine Hoffnungen jeglicher Grundlage entbehrten. Marthe-Marie hatte sich für ein Leben bei den Gauklern entschieden, an Diegos Seite. Er mochte heulen, er mochte toben, ändern konnte er es nicht, dass Marthe-Maries Zuneigung, ihr Vertrauen in seine Liebe niemals stark genug gewesen waren. Am selben Tag noch entschuldigte er sich bei Conrad für sein kindisches Verhalten der letzten Wochen und nahm die alltäglichen Dinge wieder in die Hand – wenn auch ohne Freude und Begeisterung.
    Einmal nur hatte er sich zu einem Gefühlsausbruch verleiten lassen. Die beiden Freunde waren bis zum allerletzten Ruf der Nachtwächter in einer Schenke im Fischerviertel gesessen und hatten über alle Maße getrunken. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, hatte Jonas erstmals über die Gründe seiner hastigen Abreise aus Freiburg und seiner Flucht aus Freudenstadt gesprochen.
    «Ich kann es nicht fassen.» Conrad

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