Die Tochter der Hexe
ihres Wagens eilte. Hoffentlich beobachtete sie niemand. Doch jetzt zur Mittagszeit waren wenig Menschen unterwegs. Marthe-Marie zog ihre Tochter auf den Wagen, legte sie auf ihre Schlafstelle und reichte der alten Wirtin noch einmal die Hand.
«Gott behüte euch auf eurer Reise und gebe, dass du Benedikt Hofer findest», sagte Mechtild mit rauer Stimme. Dann trat sie zurück an den Straßenrand und winkte ein letztes Mal. Marthe-Marie sah die schmächtige Gestalt immer kleiner werden. Sie fragte sich, ob sie Mechtild jemals wieder sehen würde.
Don Diego rief sie zu sich auf den Kutschbock.
«Du jetzt meine Frau. Und jetzt lachen und nicht mehr weinen.»
Er legte den Arm um sie und zog sie fest an sich.
«Leo, mein kleiner Löwe, jetzt schau halt nicht so beleidigt aus der Wäsche.» Marusch kraulte dem Prinzipal den Nacken. Dabei blinzelte sie Marthe-Marie verschmitzt zu. «Es ist doch nur bis Offenburg. Danach ist wieder alles, wie du es gewohnt bist.»
«Macht doch, was ihr wollt.»
Sonntag verschwand im Wageninneren, um seine Reisekiste zu holen, während Marusch hinter dem Kutschbock eine Ecke für Agnes auspolsterte. Sie hatten gleich hinter Freiburg eine kurze Rast eingelegt, um am Ufer eines Baches die Tiere zu tränken. Bei dieser Gelegenheit hatte Marusch entschieden, dass Marthe-Marie mit dem Prinzipal den Wagen tauschen müsse, da der Spanier bei genauerer Betrachtung der Lage nicht die angemessene Begleitung für eine allein stehende Frau sei.
«Es tut mir Leid, dass ich Euch so viele Umstände mache», sagte Marthe-Marie.
«Ach was. Und wegen Leonhard zerbrich dir nicht den Kopf, er ist nicht nachtragend. Er ist der gutmütigste Mensch der Welt, nur zeigt er es nicht so gern, weil er glaubt, sonst bei den anderen an Ansehen zu verlieren.»
«Seid Ihr mit ihm verheiratet?»
«Verheiratet? Nein, aber er ist der Vater meiner Kinder. Zumindest meiner Jüngsten.»
Als sie Marthe-Maries verdutztes Gesicht sah, begann sie zu lachen. «Man merkt wirklich, dass du keine Fahrende bist. Aber jetzt sag mir deinen richtigen Namen, du heißt doch nicht Agatha Müllerin, das sehe ich dir an deiner blassen Nasenspitze an.»
«Woher – wie könnt Ihr – ja, es ist wahr. Ich heiße Marthe-Marie Mangoltin. Wie seid Ihr darauf gekommen, dass Agatha nicht mein richtiger Name ist?»
«Jetzt sag endlich du, wir sind hier nicht am Kaiserhof.» Sie nahm Agnes auf den Schoß und kitzelte sie am Bauch, bis sie vor Vergnügen quietschte. «Was für blaue Augen deine Tochter hat. Wunderschön.»
Marthe-Marie ließ sich nicht ablenken. «Warum helft ihr mir? Warum bin ich erst bei Don Diego mitgefahren? Und dazu in dieser schrecklichen Verkleidung?»
Agnes spielte inzwischen hingebungsvoll mit Maruschs riesigen goldenen Ohrringen.
«Um ehrlich zu sein: Auch ich hätte dich nicht mitgenommen, wie du da vor uns standest in deinem Witwengewand mit Spitzenmanschette und Mühlsteinkrause. Aber als die Büttel kamen und du dich sofort in den Arkaden verstecktest, da ist mir gleich klar geworden, dass du auf der Flucht bist. Dein Geld kannst du übrigens behalten, du wirst es sicher noch brauchen.»
«Ist es wahr, dass ihr vorzeitig aufbrechen musstet?»
«Nun ja, einigen Bürgern ist mal wieder das Maul übergelaufen mit Lügenmärchen wie: Die Kühe würden saure Milch geben und der Wein in ihren Fässern zu Essig werden, seitdem wir in der Stadt seien.» Sie zuckte die Schultern. «Das hören wir nicht zum ersten Mal. Vor allem, wenn jemand wegen Schwarzmagie oder Hexerei im Turm einsitzt, gehen solche Verleumdungen schneller um als die Pest. Wir machen uns dann lieber freiwillig aus dem Staub.»
«Dann verstehe ich erst recht nicht, warum ihr mich mitnehmt. Ich hätte euch beim Passieren des Stadttores in Gefahr bringen können.»
Marusch lachte wieder. Sie schien gern und oft zu lachen. «Wir haben schon bei ganz anderen Geschichten den Hals aus der Schlinge gezogen. Und du hast selbst gesehen: An der Seite unseresSpaniers bist du sogar bei diesem misstrauischen Torwächter als Gauklersfrau durchgegangen. Wärst du in deiner Trauerkleidung bei uns gesessen, dann hätten sie dich sofort heruntergezerrt. Diego ist ein wunderbarer Schauspieler, findest du nicht?»
Das stimmte. Marthe-Marie hätte fast der Atem gestockt, als der Torwärter auf ihren Wagen geklettert kam, um sich umzusehen. Unbeeindruckt davon hatte Diego sie geherzt und geküsst, bis Agnes plötzlich zu schreien anfing.
«Madre mía»,
hatte
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