Die Tochter der Hexe
Worte des Pfarrers waren kaum noch zu verstehen, heftige Schläge wurden ausgeteilt. Dann sah Marthe-Marie mittendrin Marusch, die sich schützend vor die schwangere Frau stellte. Aber der Kirchendiener stieß sie zur Seite und zerrte die Bettlerin an den Haaren, ihren Kumpan am Hosenbund zum Kirchenportal hinaus.
Marthe-Marie eilte hinterher, hinaus auf den Kirchplatz.
«Ihr verlaustes Hudelvolk!», brüllte der Kirchendiener gerade. «In den Turm werde ich euch stecken, ehe ihr überhaupt Amen sagen könnt.» Er versetzte der Schwangeren einen Tritt. In diesem Moment konnte sich der Bettler mit dem Holzbein losreißen und rannte erstaunlich flink zwischen den Grabstätten davon. Die Frau kauerte auf dem Boden und hielt sich stöhnend den Leib.
«Lasst sofort die Frau in Ruhe. Seht Ihr nicht, dass sie ein Kind erwartet?» Maruschs Augen blitzten vor Zorn. «Ihr solltet Euch schämen, im Hause des Herrn eine Schwangere zu prügeln.»
«Geht das Euch was an? Verschwindet.»
«Nur zusammen mit dieser Frau. Niemand wird sie in den Turm stecken.»
Inzwischen hatten sich auch die anderen Gaukler vor die Bettlerin gestellt. Der Kirchendiener blickte von einem zum anderen, stieß einen Fluch aus und schlurfte zurück in die Kirche.
«Wie heißt du?» Marusch half der Frau auf die Beine. Jetzt erst erkannte Marthe-Marie, dass sie noch sehr jung war.
«Apollonia.»
«Und wo sind deine Freunde?»
Von den Bettlern war kein einziger mehr zu sehen.
«Freunde? Feige Hosenscheißer sind das.»
«Sollen wir dich irgendwohin begleiten?»
«Nein, ich komme schon zurecht.» Die Bettlerin sprach in dem kehligen Dialekt der Ortenauer und war kaum zu verstehen. Haare und Gesicht starrten vor Dreck, ihre Stirn war blutverkrustet. Und sie stank erbärmlich. Mit zusammengepressten Lippen wandte sie sich ab und schwankte los, doch Marusch hielt sie am Arm fest.
«Warte. Wir sind Fahrende und haben unser Lager noch bis morgen hier am Ort. Gleich bei St. Sixt. Du kannst mit uns kommen.»
«Weiß nicht.» Die Frau schüttelte Maruschs Arm ab und ging davon.
Marthe-Marie sah ihr nach.
«Ist das dein Ernst? Du willst dieses Weib mitnehmen?»
«Warum nicht? Ich habe den Eindruck, dass sie noch nicht lange bei den Bettlern ist und ziemlich allein in der Welt steht. Sie könnte Mettel zur Hand gehen.»
Marthe-Marie spürte Unbehagen und Widerwillen in sich aufsteigen. In den Augen der Stadtbürger, ja selbst der Dorfbewohner mochten die Fahrenden ein zweifelhaftes Volk sein, doch jeder von ihnen, das war ihr längst deutlich geworden, verrichtete seine Aufgaben und seine Arbeit, ohne jemandem ein Leid zu tun. Was hatte da diese verwahrloste Bettlerin bei ihnen zu suchen?
«Jetzt schau mich nicht so entsetzt an», sagte Marusch. «Hast du vergessen, wie viele von uns früher vom Betteln gelebt haben? Entweder fügt sie sich unseren Regeln, oder sie muss wieder gehen. Falls sie sich überhaupt blicken lässt.»
Am späten Nachmittag tauchte die Bettlerin tatsächlich wieder auf. Wenigstens das Gesicht hätte sie sich waschen können, dachte Marthe-Marie, als Apollonia den Hügel zu ihrem Lager heruntergetrottet kam. Dann stutzte sie: Die Frau war so wenig guter Hoffnung wie sie selbst.
«Sie hat uns alle zum Narren gehalten. Sie erwartet gar kein Kind.»
Marusch lachte.
«Wenn sie jemanden zum Narren gehalten hat, dann die Kirchgänger. Ich habe auf den ersten Blick gesehen, dass die Schwangerschaft nur vorgetäuscht war.» Sie winkte Apollonia heran.
«Hast du es dir überlegt?»
Apollonia nickte. Jetzt erst sah Marthe-Marie, wie mager sie trotz ihres runden Gesichts war, und wie jung. Sie mochte kaum älter sein als Isabell.
«Gut.» Marusch zeigte auf Mettel. «Das ist Mettel, die Köchin. Ihr wirst du zur Hand gehen. Schlafen kannst du unter der Plane neben unserem Wagen, ich gebe dir später noch eine Decke.»
Beim Abendessen setzte sich Apollonia abseits der Gruppe.
«Besonders gesellig scheint unsere neue Freundin nicht zu sein», meinte Diego zu Marthe-Marie. «Mit ihr wird es wohl eng auf eurem Wagen; du könntest eigentlich wieder bei mir mitfahren.»
«Maruschs Gesellschaft ist mir lieber. Da bin ich vor Überraschungen sicher.»
«Du bist ganz schön nachtragend, weißt du das?»
«Nein. Ich weiß nur gern, woran ich bin.»
Er sah sie an und nahm, ohne Scheu vor den anderen, ihre Hand. «Wir beide», flüsterte er ihr ins Ohr, «gehören zusammen. Vielleicht bin ich in deinen Augen ein Narr und ein
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