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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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hast.»
    «Ja, das habe ich.» Jonas warf einen finsteren Seitenblick auf Diego.
    «Dann also Schwamm drüber. Komm her und setz dich zu uns an den Tisch.»
    Jonas zwängte sich zwischen Caspar und dem Prinzipal auf die Bank. Marthe-Marie saß ihm genau gegenüber.
    Sonntag schob ihm einen leeren Teller hin. «Nimm dir was zu essen. Machst du wieder mit bei uns?»
    «Nein.»
    «Und warum bist du dann gekommen?»
    Jonas gab keine Antwort. Er schien zu überlegen.
    Da sprang Diego auf. «Nun sag schon. Sag uns allen, was du hier willst, wir haben keine Geheimnisse voreinander. Das ist nicht wie bei den ehrbaren Bürgersleuten, aus deren Stall du kommst. Es weiß ohnehin jeder hier – wegen Marthe-Marie bist du hier. Du willst sie auf den Pfad der Tugend zurückführen, nicht wahr? Dann frag sie doch, ob sie mit dir will, frag sie frei heraus, hier voruns. Aber dazu hast du wahrscheinlich zu wenig Mumm in den Knochen.»
    «Lass ihn in Ruhe», raunzte Marusch ihn an.
    Diego stürmte wortlos davon.
    «Jetzt iss und trink erst einmal.» Mettel reichte Jonas einen Becher Wein.
    Marthe-Marie starrte ihn an. Sie fühlte sich in zwei Hälften gerissen, von der die eine die andere nicht mehr verstand. Jonas verkörperte das Leben, das sie kannte, den Wunsch nach Geborgenheit und Sicherheit. Er meinte es ernst, das wusste sie inzwischen. Und sie durfte nicht nur an sich denken. Agnes war jetzt knapp zwei Jahre alt – sollte sie als Gauklerkind aufwachsen? Sollte sie ihr Leben lang zu den unehrlichen Leuten, zu den Verfemten gehören? Dennoch: Wenn sie ihre Tochter beobachtete, wie glücklich sie hier war, wusste sie nicht, welches Leben besser für sie war. Und Diego hatte die Kleine ins Herz geschlossen, noch nie hatte sie erlebt, dass ein Mann so wunderbar mit Kindern umgehen konnte. Vielleicht lag es daran, dass er selber so ein Kindskopf war, mit seinen verdrehten Einfällen, seinen unzähligen Geschichten und Erlebnissen, die er bei jedem Erzählen anders ausschmückte.
    Und sie selbst? Sehnte sie sich wirklich nach der Nestwärme von Heim und Herd, nach der Enge der Städte, wo jeder den anderen argwöhnisch beobachtete, ob er auch ein Leben in Schicklichkeit und Anstand führte? Wohin das führen konnte, das hatte sie schmerzhaft erfahren, hatte sich wie ein Zeichen in ihre Seele gebrannt.
    Hier bei den Gauklern galten ganz andere Maßstäbe. Längst kannten alle ihre Geschichte und wussten, warum sie aus Freiburg hatte fliehen müssen. Keinen wunderte es mehr, dass sie sich vor den Zöllnern und Grenzposten als Agatha Müllerin ausgab. Das alles gehörte so selbstverständlich zu ihr wie ihre Tochter oder ihr Auftritt als Rechenmeister Adam Ries.
    Mit einem Mal fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Sie war zerrissen zwischen zwei Männern.
    «Marthe-Marie!»
    Sie fuhr auf. Marusch hatte sie sanft am Arm gerüttelt. «Jonas will sich verabschieden.»
    «So?» Verwirrt sah sie ihn an. «Wo übernachtest du?»
    «Ich habe mich als Schlafgänger bei einem Nagelschmied einquartiert. Begleitest du mich noch bis zum Tor?»
    Sonntag schlug ihm auf die Schulter: «Du hast es also gehört, Jonas. Deine Jonglierkünste sind uns noch immer sehr willkommen. Ich gebe dir drei Tage, um eine Entscheidung zu treffen – worüber auch immer», setzte er noch hinzu.
    Sie traten durch die dunkle Toreinfahrt auf die Straße. Im Zwielicht des Abends wirkte Jonas’ Gesicht bleich.
    «Ich muss mit dir reden», sagte er. «Allein. Kommst du morgen früh zu der kleinen Wiese hinter der Kirche?»
    «Ich weiß nicht.»
    «Ich werde jedenfalls da sein. Und wenn es sein muss, auch am Tag danach.»
    Dann ging er die Straße hinunter, ohne sich noch einmal umzudrehen, bis die Dämmerung ihn verschluckte.

19
    Kurz vor Sonnenaufgang erwachte Marthe-Marie. In der Schlafstube war es still, bis auf Maruschs tiefes Schnarchen. Rasch zog sie sich an und schlich auf Zehenspitzen hinaus. Unten war Mettel bereits dabei, das Morgenbrot zu richten.
    «Was ziehst du für ein Gesicht?», fragte Mettel statt einer Begrüßung. «Ich an deiner Stelle würde den ganzen Tag singen vorGlück, wenn zwei so stattliche Männer um mich buhlen würden. Einer schöner als der andere.»
    «Ach Mettel, du hast gut lästern. Mir ist ganz schlecht.»
    «Dann iss etwas.»
    «Ich hab keinen Hunger. Falls Marusch oder Agnes nach mir fragen: Ich bin in spätestens einer Stunde zurück.»
    Mettel zwinkerte ihr zu. «Lass dir Zeit. Liebe braucht Weile.»
    Trotz der frühen Stunde

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