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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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herrschte in den Gassen und Hofeinfahrten rege Geschäftigkeit. Händler und Bauern zogen ihre voll gepackten Karren hinter sich her, Bäckergesellen schulterten Mehlsäcke. Überall klopfte und hämmerte es, Metall schlug auf Metall, Holz gegen Holz, Baumeister brüllten ihre Anweisungen. Eine Stadt von Grund auf neu zu errichten muss eine großartige Aufgabe sein, dachte Marthe-Marie, als sie schließlich die halb fertige Kirche erreichte. Und: Ich werde Jonas sagen, dass es am besten ist, wenn er wieder nach Freiburg zurückkehrt.
    Ein Teil der Wiese war bereits als Kirchhof hergerichtet, mit einer kleinen Kapelle, denn auch in einer jungen Stadt starben die Menschen. Der Rest des Geländes lag brach, umwuchert von Weißdornhecken und Haselsträuchern. Jonas saß in Gedanken versunken auf einem Baumstumpf.
    «Guten Morgen, Jonas.»
    Er sprang auf. «Ich wusste, dass du kommen würdest.»
    «Ja.» Sie sprach mit kaum hörbarer Stimme. «Weil ich dir sagen möchte, dass deine Reise umsonst war. Geh zurück nach Freiburg. Heute noch.»
    Er sah sie fassungslos an. «Ich kann nicht zurück. Nie wieder.»
    «Weiß Textor, dass du hier bist?»
    Er schüttelte den Kopf. «Nein. Ich wohne nicht mehr in seinem Haus.»
    Ein Verdacht stieg in ihr auf.
    «Und Magdalena?»
    «Das ist vorbei. Ich habe alle Zelte abgebrochen.»
    Marthe-Marie sah zu Boden. Damit hatte sie nicht gerechnet. «Dann bist du im Streit gegangen?»
    «Was Magdalena betrifft, ja. Es war wohl ein furchtbarer Schlag für sie. Und ihr Vater – ich glaube fast, er versteht meine Entscheidung. Hör zu, Marthe-Marie.» Er nahm ihre Hände in seine, die eiskalt waren. «Ich möchte dir von Textor erzählen. Ich habe mit ihm vor meiner Abreise ein langes Gespräch geführt. Du musst wissen, welche Rolle er damals bei dem Prozess gespielt hat. Der tragische Tod deiner Mutter soll nie wieder zwischen uns stehen.»
    Am liebsten hätte sich Marthe-Marie die Ohren zugehalten, als er zu berichten begann, dabei ahnte sie schon längst, dass sie gegen die Schatten der Vergangenheit nur ankämpfen konnte, wenn sie nicht länger vor ihnen davonrannte. So hörte sie nach anfänglichem schwachem Protest schließlich zu, und Jonas erzählte die ganze Geschichte.
    «Ich glaube ihm jedes Wort», schloss er. «Und wenn die Menschen damals in ihrer Dummheit und Verblendung deine Mutter gerichtet haben, so darfst du jetzt nicht denselben Fehler begehen und über ihn richten. Er trägt keine Schuld an ihrem Tod.»
    «Vielleicht hast du Recht», sagte sie leise. «Vielleicht trifft ihn keine Schuld. Aber um mir das zu sagen, bist du mir nicht gefolgt.»
    «Nein. Ich – ich weiß jetzt, dass ich nicht mehr ohne dich leben will. Seit drei Monaten habe ich Tag und Nacht an dich gedacht. Ich weiß, was du durchgemacht hast, und diese Last wird dir niemand nehmen. Aber wir könnten ganz neu anfangen. Wenn du über die Vergangenheit sprechen willst, werde ich dir ein aufmerksamer Zuhörer sein. Und wenn du alles vergessen willst, werde ich der Erste sein, der mit dir vergisst. Wichtig bist allein du, ich will alles tun, damit du glücklich wirst. Und Agnes soll eine Familiehaben, einen Ort, wo sie hingehört. Lass mich dir beweisen, wie ernst es mir ist.»
    Marthe-Marie sah, wie Jonas’ Gesicht wieder Farbe annahm. Seine Augen blitzten, seine Hände in den ihren wurden angenehm warm. Sie wusste plötzlich nicht mehr, was sie ihm hatte sagen wollen.
    «Wir könnten zusammen nach Ulm gehen. Dort lebt ein guter Studienfreund, der mir helfen würde, eine Anstellung zu finden. Oder wir bleiben hier. Mir gefällt diese Stadt. Ich habe mich bereits umgehört: Spätestens im Frühjahr wird die Lateinschule eröffnet, bis jetzt sind noch keine Lehrer angeworben. Aber wir könnten auch an jeden anderen Ort der Welt, wohin du willst. Glaub mir, ich würde sogar wieder mit den Gauklern ziehen, wenn das dein Wunsch wäre. Bitte, sag doch etwas. Sag mir, was du darüber denkst. Oder – o mein Gott, was bin ich für ein Narr. Du empfindest gar nichts für mich. Ist es das?»
    Sie schüttelte den Kopf.
    «Du hast dir den Spanier als Bettschatz ausgesucht, nicht wahr?» Er ließ sie los und trat einen Schritt zurück. «Ich hätte es wissen müssen.»
    «Nein!» Sie packte ihn am Arm, fast grob. «Das ist völliger Unsinn. Es kommt nur alles so überraschend. Du tauchst hier auf, aus dem Nichts, willst mit mir nach Ulm oder sonstwohin gehen – dabei weiß ich selbst am wenigsten, was ich will. Ich

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