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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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trügt bisweilen. Wenn Ihr gestattet – ich bin Agatha Müllerin aus Innsbruck, der Heimat Eurer schwäbisch-österreichischen Herren.» Sie setzte eine herablassende Miene auf und bemühte sich, den Tiroler Dialekt ihres Vaters nachzuahmen. «Wir sind Hof-Komödianten und reisen unter der fürstlichen Protektion Seiner Hoheit Herzog Friedrich von Württemberg. Das Schicksal hat uns übel mitgespielt, nicht nur unsere zehn Fuhrwerke und zweiundzwanzig Pferde, darunter die wertvollen Andalusier unserer Kunstreiter, sind uns genommen worden, sondern auch Kleidung und Kostüme, sämtliche Papiere und Einnahmen. Dennoch würden wir dieser schönen Stadt, die für ihren Gewerbefleiß und ihre Märkte berühmt ist, niemals zur Last fallen. Wir können Kost und Unterkunft durchaus bezahlen.»
    Dem Torwärter hatte es über ihrer langen Rede die Sprache verschlagen. Sonntags Leute mühten sich sichtlich, ihre Verblüffung zu verbergen, was ihnen noch schwerer gelang, als Marthe-Marie jetzt eine volle Geldkatze aus ihrem Rock hervorzog.
    «Dies hier habe ich vor den Räubern retten können. Und nun lasst uns ein, guter Mann.» Flink steckte sie ihm eine Silbermünze in die Hand.
    «Gut, gut, dann macht das für jeden einen Pfennig, für den Eselskarren zwei. Diesen Schein hier seid ihr verpflichtet bei euch zu tragen. Und dass mir keiner auf den Gedanken kommt, Quartier bei Bürgersleuten zu beziehen. Das ist bei Turmstrafe verboten.»
    Dann ließ er sie einzeln passieren. Marthe-Marie warf ihm noch ein hinreißendes Lächeln zu, wie sie es von Marusch gelernt hatte, und folgte dann den anderen durch die ungepflasterte Gasse der Vorstadt. Es hatte endlich zu regnen aufgehört, in den Rinnen und Löchern staute sich stinkende Brühe.
    «Sag mal, was war denn das?» Marusch hakte sich bei ihr ein.«Das war ja bühnenreif. Und woher weißt du, dass Horb zu Schwäbisch-Österreich gehört?»
    «Hast du nicht das Tiroler Wappen am Torwärterhaus gesehen?»
    Diego grinste. «Ich denke, wir sollten Marthe-Marie zur Prinzipalin der herzoglichen Hof-Komödianten ernennen.» Er nahm sie freundschaftlich in den Arm. «Du hast den armen Kerl ja in Grund und Boden geredet.»
    «Es geht mich vielleicht nichts an», Sonntag zupfte sich am Ohr, «aber woher hast du plötzlich das viele Geld?»
    Marthe-Marie lachte.
    «Von der putzsüchtigen Bauersfrau. Die Kiste mit meiner Garderobe aus alten Zeiten hatten die Wegelagerer wohl übersehen, und da ich inzwischen Maruschs Sachen trage, dachte ich mir, ich kann den ganzen Plunder ebenso gut verkaufen. Das musste natürlich heimlich geschehen, da ihr Mann niemals hätte davon erfahren dürfen.»
    Der Prinzipal stieß hörbar die Luft aus. «Du überraschst mich immer wieder, Marthe-Marie.»
    Diego küsste ihr galant die Hand. «Du siehst, wir brauchen dich. Du darfst uns niemals verlassen.»
    Die anderen stimmten ihm lautstark zu und applaudierten.
    «Ich meine das ernst», flüsterte er ihr ins Ohr.
    Sonntag schob ihn zur Seite.
    «Hör zu, Marthe-Marie. Wir suchen uns hier eine einfache Fremdenherberge. Keiner von uns würde es dir übel nehmen, wenn du mit Agnes ein anständiges Gasthaus aufsuchst – zumal du ja jetzt mit neuen Reichtümern gesegnet bist.»
    «Das Geld in meinem Beutel ist für uns alle», entgegnete Marthe-Marie. «Hier, nimm es gleich in Verwahrung.»
    «Danke, im Namen aller. Wir müssen trotzdem sparsam damit umgehen. Der Winter ist lang. Wir werden uns, wie gesagt, einebillige Unterkunft suchen, und gemütlich wird das nicht, das kann ich dir prophezeien.»
    «Mitgefangen, mitgehangen.» Sie lächelte. Dabei wusste sie selbst nicht, woher sie auf einmal die Gewissheit nahm, dass alles gut gehen würde. Bis vor wenigen Stunden war sie von schwärzester Verzweiflung geschlagen gewesen, jetzt spürte sie ungeahnte Kräfte und neuen Lebensmut in sich aufsteigen.

23
    Horb war die buckligste Stadt, die Marthe-Marie je gesehen hatte. Jeder Pfad führte treppauf, treppab, jede Gasse buckelaufwärts, buckelabwärts. Ihre Herberge, die in der engen, lang gestreckten Vorstadt im Tal lag, hatte nicht einmal einen Namen. Sie teilten sich die Schlafstube mit Landfahrern, Gesellen auf der Walz, entlassenen Landsknechten, Schülern und Studenten, hin und wieder mit Bettlern oder Pilgern, die sich nach Horb verirrt hatten. Viel zu eng lagen sie beieinander, dabei war der Raum dreckig, und aus den löchrigen Strohsäcken rieselte der Häcksel. Der Wirt knöpfte ihnen dafür pro Nacht

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