Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
Vom Netzwerk:
schwitzend in Scheune und Garten abmühten, beobachtete ich die zierliche, gebeugte Gestalt meines Bruders und wunderte mich über seine Gelassenheit und Geistesgegenwart. Nachdem der Köter so plötzlich verschwunden war wie das Fieber bei einer Sommergrippe, gaben die zitternden Beine unter mir nach, sodass Tom mich abstützen und mir die Leiter hinunterhelfen musste. Tom war es auch, der Hannah in den Arm nahm und sie zu ihrer großen Verwirrung wiegte. Dann griff er mit ruhiger Hand nach der Flinte, folgte dem Hund etwa vierzig Meter die Boston Way Road hinunter, legte sorgfältig an und streckte ihn mit einem Kopfschuss nieder.
    Am späten Nachmittag saßen wir an der Hintertür auf der Schwelle und warteten darauf, dass Vaters hünenhafte Gestalt im glühend heißen Gestrüpp von Fall’s Wood erschien. Da drehte Tom sich zu mir um. »Also bin ich doch kein Versager«, meinte er.
    Ich starrte ihn überrascht an, während er sich mit dem Ärmel den feuchten Staub von der Stirn wischte. Es waren dieselben Ärmel, die ihre Knöpfe hatten opfern müssen, damit meine Puppe - oder vielmehr die, die ich Margaret geschenkt hatte - Augen bekam.
    Mit gepresster Stimme fuhr er fort. »Du bist nicht die Einzige auf dieser Farm, die nach dem Rechten sehen kann, wenn Vater fort ist.«
    Als ich widersprechen wollte, fiel er mir ins Wort. »Ich erkenne es an deinen abfälligen und mitleidigen Blicken. Vorhin auf dem Heuboden bist du nicht einen Moment auf den Gedanken gekommen, mich um Hilfe zu bitten. Aber ich bin genauso tüchtig wie du. Ich arbeite genauso hart wie du. Und ich kann genauso gut auf uns aufpassen wie du.« Er sah mich trotzig an und zog die Augenbrauen zusammen. Das dunkle Haar lockte sich um seine Ohren, und ich dachte an die Steine, die er wohl schon viele Tage und Wochen in der Hosentasche mit sich herumtrug. Die Munition jedes Jungen, der damit Vögel jagt oder sie auf der glatten Wasserfläche eines Teichs hüpfen lässt. Tom hatte sie ruhig und selbstbewusst dazu eingesetzt, uns vor Unheil zu bewahren.
    »Ich vermisse sie ebenso wie du«, sagte er, ballte die Hände zwischen den Knien zu Fäusten und spannte den Rücken an, um die Tränen zu unterdrücken. Doch er brauchte die Worte nicht auszusprechen, denn ich bemerkte an den dunkelvioletten Schatten unter seinen Augen und seinen zusammengepressten Lippen, wie ihm zumute war. Mit dem Daumen wischte ich ihm einen kleinen Schmutzfleck von der Wange, den er mit dem Ärmel nicht erwischt hatte.
    »Wenn Vater unterwegs ist, bin ich der Älteste auf der Farm. Ich kann uns beschützen«, verkündete er und zupfte an meiner Schürze, damit ich näher an ihn heranrückte. Ich dachte, er würde nach meiner Hand greifen oder den Arm um mich legen. Aber er rührte sich nicht und drückte nur das Knie an meines. Dennoch war es, als würde eine gewaltige Last von meinen Schultern genommen. Lange Zeit saßen wir so da, bis die Sonne hinter uns unterging und lange Schatten auf den Feldern zwischen hier und Ladle Meadow lagen.

    Am 30. Juli wurde Tante Mary erneut in Billerica verhaftet und zum Verhör ins Dorf Salem gebracht. Nach Mutters Vernehmung hatte man sie freigelassen, doch da Mary Lacey weiter Anschuldigungen gegen sie erhob, führte man sie und Margaret noch einmal den Richtern vor. Nach einer langen und qualvollen Befragung gab sie schließlich zu, Timothy Swan und andere krank gehext zu haben. Außerdem habe sie mit meiner Mutter und meinen beiden Brüdern Hexenversammlungen besucht. Meine Mutter habe ihr berichtet, bei diesen Hexensabbaten seien nicht weniger als 305 Hexen aus dem ganzen Land zusammengekommen, die sich dem Ziel verschworen hätten, das Reich Christi zu stürzen und dem des Satans zur Vorherrschaft zu verhelfen. Weiterhin sagte sie aus, der Teufel sei ihr in Gestalt eines braunen Mannes erschienen und habe versprochen, sie vor den Indianern zu schützen, wenn sie sich in sein Buch eintrage. Auf die Frage, warum sie sich entschieden habe, Satan zu dienen, erwiderte diese gütige und sanftmütige Frau, sie habe solche Angst vor den Indianern, dass sie auch dem Teufel von ganzem Herzen folgen würde, falls er sie vor ihnen bewahrte. Zwei Tage später, am ersten August, sie und Margaret saßen noch im Gefängnis, griff eine kleine Gruppe von Wabanaki einige Häuser in Billerica unweit von dem der Tante an und töteten alle Männer, Frauen und Kinder. Der Teufel hatte seinen Teil der Abmachung offenbar gehalten, vielleicht der Grund, warum

Weitere Kostenlose Bücher