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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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konnte jedoch Norden nicht von Süden und Osten nicht von Westen unterscheiden, da mir eine graue Masse die Sicht raubte. Ich sank auf die Knie. Benommenheit breitete sich in meinem Kopf aus, als verschlösse man einen grauen Filzbeutel mit einer Schnur. Im nächsten Moment spürte ich, wie sich Finger schmerzhaft in meine Arme gruben. Starke Hände zogen mich hoch, und dann rannten wir durch das Feuer, bis ich Himmel und Felder wiedererkennen konnte. Mercy versetzte mir einen kräftigen Klaps auf den Rücken, und wir husteten spuckend und keuchend die Asche aus unseren Lungen.
    »Sieht ganz danach aus, als ob wir beide bald obdachlos würden«, meinte sie, ohne einen Anflug von Böswilligkeit.
    Meine Familie und einige Nachbarn hatten sich auf der Anhöhe versammelt, um mit anzusehen, wie der restliche Weizen verbrannte. Robert Russell und Samuel Holt mit seinem Bruder Henry Holt, die Farmen unweit von Ladle Meadow besaßen, standen neben Vater. Am östlichen Horizont erhellte sich der Himmel. Im nächsten Moment änderte der Wind die Richtung und wehte nun aus Westen, dem Sonnenaufgang entgegen. Kurz hielt die Feuersbrunst inne, während die Flammen wie hechelnde Suchhunde in die Luft züngelten. Und dann machte das Feuer kehrt und wälzte sich so schnell nach Osten, als wolle es sich ins Meer stürzen. Die Holts eilten zurück zu ihrer Farm, gefolgt von meinem Vater, der seine lange Hacke geschultert hatte. Aus dem erhitzten Metall der Klinge stiegen kleine Rauchwölkchen auf. Ein grausiger Gedanke schoss mir durch den Kopf, denn mir war Allens Drohung eingefallen, uns das Dach über dem Kopf anzuzünden. Doch unsere Felder und unser Haus hatten das Unglück überstanden. Noch viele Stunden lang musste ich mich mit Eimer und Hacke abmühen, bevor ich, Haut und Haare von beißendem Rauchgeruch durchdrungen, ins Bett fallen durfte. Als ich mich schließlich daran erinnerte, dass ich Hannah angebunden in der Scheune zurückgelassen hatte, war es schon helllichter Tag. Meine Schwester war, Daumen und kleinen Finger im Mund, eingeschlafen, wachte aber sofort auf, als ich sie hochhob, um sie ins Haus zu bringen. Noch tagelang wollte sie ständig getragen werden und aß und schlief nur, wenn ich sie in den Armen hielt.

    Das Feuer hatte zwar das Heu vernichtet, uns aber den Weizen gelassen. Außerdem waren die Flammen dem Mais sehr nah gekommen, sodass ein Teil der seidigen Spelzen versengt und die Hülsen verschrumpelt waren. Die am Ende des Sommers aus diesen Kolben gewonnenen Körner würden angebrannt schmecken, als hätte man sie in Kaminasche gewälzt. Wir hatten zwar schwere Verluste erlitten, waren jedoch noch um einiges besser dran als unsere Nachbarn. Die Holts hatte es am schlimmsten getroffen, denn der Großteil ihrer Ernte war vernichtet. Das Feuer verlosch erst am Skug River, nachdem es zuvor noch auf Ladle Meadow gewütet hatte. Als Robert Russell einige Tage später zu uns kam, um bei der Weizenernte zu helfen, berichtete er, die Holts grollten uns, weil unser Getreide im Gegensatz zu ihrem verschont geblieben sei. Ich bemerkte, dass Roberts blonde Augenbrauen beinahe weggesengt waren und dass er nässende Brandblasen auf der Wange hatte. Sein ledernes Wams war von der Hitze rissig und geschwärzt. Er tat mir leid, weil er keine Frau hatte, die seine Wunden verband oder seine Kleider herrichtete. Seit vielen Jahren schon war er Witwer, und wenn er nicht bald wieder heiratete, würde er noch in Verruf geraten.
    Nun wandte er sich an meine Mutter. »Susannah Holt sagt, sie hätte dich auf der Anhöhe tanzen sehen, bevor der Wind die Richtung gewechselt hat«, meinte er schmunzelnd. Nur Robert durfte sie auf diese Weise hänseln. Während sich jeder andere dafür eine spitze Bemerkung eingehandelt hätte, senkte sie bei ihm nur den Kopf und lächelte. Manchmal errötete sie sogar für einen kurzen Moment. Wenn ich älter gewesen wäre, wäre mir dieses so ganz und gar wesensfremde Verhalten sicher eigenartig vorgekommen. »Ich kann’s nicht ändern, dass die Felder unserer Nachbarn verbrannt sind«, erwiderte sie und klapperte mit den Töpfen auf dem Herd herum. »Und es tut mir sehr leid. Sie sind anständige Leute. Allerdings ist Susannah alt und halb blind. Falls ich wirklich herumgesprungen bin, dann sicher nur, weil mein Rocksaum Feuer gefangen hatte.« Nachdem wir den Weizen in Parkers Mühle zu Mehl hatten verarbeiten lassen, schickten wir Susannah Holt vier Säcke davon, leider zu wenig, um den

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