Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
Vom Netzwerk:
bitteren Saft der Missgunst aufzusaugen.
    Mercy und ich schlossen eine Art Waffenstillstand, und während wir mit Sicheln den Weizen abmähten, brachte sie mir ein kleines Lied bei. Sie hatte es von einem französischen Trapper gelernt, der mit den Indianern Handel trieb. Da die Wörter in meinen Ohren fremd klangen und ich ihre Bedeutung nicht verstand, beschloss ich, dass es sich um ein Wiegenlied handeln müsse, weil es so weich und fließend klang. Später jedoch erklärte sie mir mit hämisch verzogener Oberlippe, das Lied handle von einem Schmetterling, der von Blume zu Blume flattere, bis er glückselig im Überfluss der Pollen ertränke. Wenn der Weizen erst einmal reif war, blieben uns höchstens acht Tage für die Ernte, bevor sich die Ähren öffneten und die Körner herausfielen. Die Garben zu binden, dauerte drei Tage. Es waren viele, etwa einhundert Stück, und da sie trocken waren, würde das Dreschen und Trennen ein Kinderspiel sein. Das Trennen machte mir den meisten Spaß, und ich passte die Bewegung meiner Kornschwinge der von Mercy an. Wir veranstalteten einen Wettbewerb, wer von uns als Erste die Spreu vom Korn getrennt hatte. Bei dieser Gelegenheit erzählte sie mir zum ersten Mal von ihrer Familie, die von den Wabanaki umgebracht worden war. Sie hatte eine Mutter, einen Vater, zwei ältere Brüder und zwei Schwestern gehabt. Ihr jüngstes Geschwisterchen war erst vier Jahre alt gewesen. Die Indianer hatten sich bei Morgengrauen angepirscht und das Dach des Hauses angezündet. Als die Familie dann ins Freie geflüchtet war, um nicht bei lebendigem Leibe zu verbrennen, wurde einer nach dem anderen mit einem Schlag auf den Kopf getötet und liegen gelassen. Mercy und einer ihrer älteren Brüder, der den langen Marsch nach Kanada nicht überstanden hatte, wurden gefangen genommen. Als sie zu Ende berichtet hatte, setzte sie ihr schiefes Lächeln auf, schloss die Finger um mein Handgelenk und meinte: »Aber ich glaube, ich werde bald eine neue Familie haben.«
    Ein folgenschwerer Irrtum.

    Mercy und meine Mutter standen sich, die Arme vor der Brust verschränkt, gegenüber und sahen einander hasserfüllt an. Es war August, und obwohl der Tag gerade erst angefangen hatte, war die Hitze des Kochfeuers in der Wohnküche kaum zu ertragen. Der Schweiß lief Mercy übers Gesicht, durchweichte die Vorderseite ihrer Schürze und ließ die Zipfel ihrer Haube schlaff herabhängen. Mutters Kleid wies zwar unter den Achseln große Schweißflecken auf, doch ihr Gesicht, das ich nur im Profil sehen konnte, war kühl und glatt wie ein Grabstein. Von hinten wirkte ihr Rücken so angespannt, dass er die Schnürung ihres Mieders zu sprengen drohte. Ich hielt den Atem an und machte mich ganz klein, damit mich niemand bemerkte und aus dem Zimmer schickte.
    Eigentlich hatte der Morgen recht angenehm begonnen. Vater war bei Tagesanbruch mit Andrew und Tom auf die Jagd gegangen, während Richard mit einigen Säcken Weizenmehl losgezogen war, um sie auf dem Markt in der Stadt gegen andere Waren einzutauschen. Wir drei waren früh aufgestanden, um das Backen für die Woche zu erledigen. Ich hackte Kräuter aus dem Garten und arbeitete mich durch die unzähligen Rosmarinzweige, die in duftenden Haufen auf dem Tisch lagen. Der Kanincheneintopf, den es zum Abendessen geben sollte, blubberte bereits in dem Kessel, der an einer Stange in der Esse hing. Da die Männer nicht zugegen waren, hatten Mutter und Mercy ihre Rockzipfel in die Taillenbündchen gesteckt, um sich bei der Küchenarbeit freier bewegen zu können. Gerade hatte Mutter mit dem Arm nachgeprüft, ob das Backrohr schon heiß genug war, und fand, dass die Temperatur reichte. Die Haut an ihrem rechten Arm war stets weich wie ein Kinderpopo, denn die Hitze hatte ihr sämtliche Härchen weggesengt. Hannah saß zu meinen Füßen unter dem Tisch und spielte zufrieden mit einem Holzlöffel, den sie wild über den Dielenboden kreiseln ließ. An diesem Morgen war Mutter ungewöhnlich guter Dinge, denn es war ihr gelungen, unsere Milchkuh wieder gesund zu pflegen. Wegen der schwülen Hitze war das Euter der Kuh schmerzhaft angeschwollen, sodass sie weniger Milch gab. Also hatte Mutter einen Brei aus irgendwelchen moosigen Kräutern zubereitet und die Zitzen der Kuh jede Stunde damit eingerieben, bis die Schwellung zurückgegangen war und die Kuh sich wieder putzmunter fühlte. Mercy sagte, sie hätte noch nie erlebt, dass eine Kuh so schnell von dieser Krankheit genesen

Weitere Kostenlose Bücher