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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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gemacht, was allerdings nicht der Grund ist, warum du meinen Sohn nicht heiraten wirst. Es liegt einzig und allein daran, dass du eine hinterhältige Diebin und Lügnerin bist, weshalb ich dich nicht länger in meiner Familie haben will. Ich habe dich aufgenommen, gekleidet und ernährt, und du dankst es mir, indem du meinen Kindern das Essen stiehlst. Meinst du, ich hätte nicht bemerkt, dass Lebensmittel fehlen? Ganz zu schweigen von der verschwundenen Wolle und den Stücken, die du heimlich von den Kerzen abschneidest. Du hättest wohl auch das Spinnrad mitgehen lassen, wenn es unter deinen Rock passen würde. Das Stehlen hätte ich dir vielleicht noch verziehen, aber deine Lügen kann ich in diesem Haus nicht dulden.«
    »Sie sind hier die Lügnerin«, kreischte Mercy, deren weiße Haut inzwischen hochrote Flecke aufwies. »Sie und Ihr Taugenichts von einem Sohn. Er hat versprochen, mich zu heiraten, und ich war einverstanden, mit ihm ins Heu zu gehen, damit er sich auch an seine Zusage hält. Allerdings würde Ihr Sohn mit seinem mickrigen Docht nicht in eine Frau hineinfinden, und wenn sie ihm ihr Ding ins Gesicht hält. Eines schwöre ich Ihnen: Wenn Sie mich hinauswerfen, ohne mir eine Hochzeit zuzusichern, werde ich im ganzen Dorf herumerzählen, dass es in Ihrer Familie von Hurensöhnen nur so wimmelt.« Ihr Geschrei verstummte schlagartig, als meine Mutter ihr eine schallende Ohrfeige versetzte. Ein dünner Speichelfaden rann Mercy aus dem Mundwinkel, und sie hielt sich die gerötete Wange.
    »Ich habe weggeschaut, als du Richard schöne Augen gemacht und ihm schamlos nachgestellt hast. Doch wenn ich geahnt hätte, dass du es unter meinem Dach mit ihm treibst, hätte ich dir auch noch die restlichen Haare an den Wurzeln ausgerissen. Wenigstens war Richard klug genug, bei einem Mädchen, das so hässlich und schlampig ist, dass nicht einmal die Indianer sie wollten, die Hosen anzulassen.«
    Noch nie hatte ich bei einer Frau einen solchen Hass gesehen wie den, der sich in diesem Moment in Mercy Williams’ Gesicht zeigte. Als sie meine Mutter und mich musterte, war ich es, die sich Schutz suchend an Hannah klammern musste. Sie packte ihre wenigen Sachen und ging zur Vordertür hinaus. Es dauerte einige Tage, bis wir erfuhren, dass die Chandlers sie aufgenommen hatten. Sie wohnten in der Nähe auf der anderen Seite der Boston Way Road, besaßen einen Gasthof und waren gerne bereit, Vater den Rest ihrer Ablöse abzukaufen. Ich weiß nicht, welches Märchen sie den Chandlers aufgetischt hat. Doch Vater war aufrichtig mit William Chandler und sagte, dass Mercy sehr fleißig gewesen sei. Nachdem Mutter an jenem Abend mit Vater gesprochen hatte, winkte dieser Richard mit finsterer Miene zu sich, und die beiden blieben eine ganze Weile draußen in der Scheune. Als Richard zurückkam, konnte er wegen der Striemen, die der Riemen auf seinen Beinen hinterlassen hatte, kaum gehen. Aber er machte einen sehr erleichterten Eindruck.
    In dieser Nacht, endlich wieder allein im Bett, summte ich das Lied des französischen Trappers vor mich hin, gab es jedoch bald wieder auf, da ich den Großteil des Textes bereits vergessen hatte. Ich hielt mir Margarets Puppe an die Lippen, konnte jedoch die Nadel nicht spüren, und als ich den Rock lüpfte, musste ich feststellen, dass sie verschwunden war. Von ganzem Herzen hoffte ich, dass die Nadel in Mercys diebischen Fingern zerbrechen würde, damit sie Wundstarrkrampf bekam und eines langsamen und qualvollen Todes starb. Irgendwann während der Nacht kroch Hannah zu mir ins Bett. Ich zog ihren pummeligen kleinen Körper an mich. »Mercy ist jetzt weg«, flüsterte ich. »Und da du inzwischen zwei Jahre alt und ein großes Mädchen bist, sollst du von nun an bei mir im Bett schlafen.« Meine Finger dufteten zum Glück noch nach Rosmarin, sodass das Aroma Mercys muffigen Geruch überdeckte, der in die Laken eingesickert war. Es war ein Geruch nach verborgenen Gedanken und verstohlenen weiblichen Gelüsten. Beim Einschlafen dachte ich an ein sich rasch ausbreitendes Feuer und an Waldpfade, die nirgendwo hinführten als nach Norden.

4
    September 1691 - Dezember 1691
    I n jenen ersten Septembertagen versteckte ich mich oft zwischen den kühlen raschelnden Maisstängeln, die im Garten vor dem Haus wuchsen. Bohnen und Kürbisse waren inzwischen reif, und ich ließ mir Zeit, wenn ich meine Schürze füllte, weil ich wusste, dass in der stickigen Hitze von Haus und Scheune weitaus

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