Die Tochter der Ketzerin
einer bunten Borte verziert. Ich las den Text sorgfältig, der aus dem Buch der Sprüche stammte. »Ein Freund liebt immer.« Natürlich hatte sie den Vers nicht beendet, denn er lautete vollständig: »Ein Freund liebt immer, ein Bruder ist zum Streit geboren.« Wieder erinnerte ich mich an Allens mürrisches Gesicht und den Geruch nach versengtem Weizen. Margarets Stickbild im Mieder meines Kleides, saß ich auf der Schwelle und lauschte den gedämpften Stimmen, die aus dem Haus kamen. Die Worte konnte ich zwar nicht verstehen, doch ich hörte, dass es sich um eine heftige Auseinandersetzung handelte. Onkels beschwichtigender Tonfall bildete einen Gegensatz zur schneidenden Stimme meiner Mutter. Seine Vorgehensweise erinnerte mich an einen Glasschmelzofen, wo ein heißer Haufen aus Sand und Pottasche so lange nach und nach heruntergekühlt wird, bis ein benutzbares Gefäß entsteht. Manchmal jedoch zerspringt so ein glühendes Gebilde, auch wenn man es noch so vorsichtig behandelt. Die Hände über den Ohren, saß ich da und wartete auf das unvermeidliche splitternde Geräusch.
Eine große Axt geschultert, kam Vater von den Feldern. Er hatte Holz gehackt, sein Hemd war völlig durchgeschwitzt, und das Haar klebte ihm feucht und schlaff am Hals.
Sobald er das Pferd des Onkels bemerkte, beschleunigte er seinen Schritt. Er warf mir zwar einen Blick zu, blieb aber, anders als sonst, nicht stehen, um die Axt an die Wand zu lehnen. Als er über die Schwelle trat, schnitt die Axt eine tiefe Kerbe in den Türrahmen. Kaum war er im Raum, als das Gespräch schlagartig verstummte. Im nächsten Moment kam der Onkel herausgestürzt und hatte es so eilig, dass er beinahe über mich gestolpert wäre.
Ich lief ihm nach. »Onkel, bleib doch noch ein bisschen. Onkel, bitte geh nicht«, rief ich. Aber er hielt weder inne, noch antwortete er. Deshalb hatte ich auch keine Gelegenheit, ihm ein Geschenk für Margaret mitzugeben. Was würde sie nun wohl von mir halten? Meine Finger waren das Nähen nicht mehr gewöhnt, denn, anders als versprochen, hatte ich nicht üben können, weil die Nadel, die sie mir geschenkt hatte, ja von Mercy gestohlen worden war. Die einzige Nadel, die ich noch besaß, war stumpf und aus Knochen gefertigt. Sie war zum Flicken von Wollsachen gedacht und eignete sich nicht zum Sticken. Der Onkel stieg auf Bucephalus und ließ scharf die Zügel schnalzen. Keuchend lief ich neben seinem Stiefel her. »Sag Margaret … sag Margaret …« Doch er hatte mich rasch abgehängt. »Ich bin nicht wie meine Mutter … Ich bin nicht wie sie!«, rief ich schluchzend, während ich die Hand nach seinem Steigbügel ausstreckte.
Lange blickte ich ihm nach. Schließlich rief Mutter nach mir, aber ich trödelte herum, bis sie in der Tür erschien. Ihre Augenbrauen unter der gerunzelten Stirn bildeten eine drohende Linie. Vaters Axt lag schwer auf dem Tisch. Die Klinge zeigte auf die Stelle, wo der Onkel gerade noch gestanden hatte.
Eines Morgens im September waren Andrew, Tom und ich zusammen in der Scheune. Ich war ans Haus gefesselt gewesen, um Fleisch für den Winter zu räuchern und zu trocknen. Stundenlang hatte ich den Spieß gedreht, bis ich irgendwann unvorsichtig wurde und mir an der Glut den Rocksaum ansengte. Innerhalb von wenigen Sekunden hätte ich in Flammen aufgehen können, wenn meine Mutter mich nicht mit den Worten »Mein Gott, Sarah, willst du uns alle anzünden?« vom Kamin weggerissen hätte.
Dann schickte sie mich und Hannah in die Scheune, um für die Mäuse, die unsere kostbaren Getreidevorräte vertilgten, eine Schale Milch hinzustellen. Die Mäuse kamen, um sich an der Milch gütlich zu tun, woraufhin die Katze, die auf dem Heuboden wohnte, in den Genuss eines Frühstücks aus Fell, Zähnen und Schwanz kam. Es machte mir Spaß, die Milchschale, den blutigen Kleinkrieg und den Widerstand meiner Schwester zu beobachten. Denn obwohl ich mir vormachte, ich bände Hannah nur an einen Pfosten, damit sie nicht vom Pferd getreten wurde, hatte ich es in Wahrheit satt, dass sie sich ständig an mich klammerte und ununterbrochen meinen Namen rief. Sosehr sie auch an dem Riemen zerrte, ich blieb hart und achtete nicht auf ihr Flehen, ich möge sie doch in den Arm nehmen. Tom war damit beschäftigt, neue Streu in den Ställen auszulegen. Mit jeder Gabel voll stiegen unzählige Staubwolken auf, sodass er in immer kürzeren Abständen nieste. Schließlich krümmte er sich, die Hände auf die Knie gestützt, und
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