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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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mehr geben, die nur vollgestopft mit Arbeit waren, ohne dass ein Lachen, eine beiläufige Umarmung oder ein zugerauntes Geheimnis ihnen Leben eingehaucht hätte. Eine rote Wespe kroch über meine Hand, und ich erstarrte voller Furcht, sie könnte ihren Stachel in meine Haut bohren. Das Insekt mit seinen seelenlosen schwarzen Augen und dem bebenden Hinterleib war gleichzeitig schön und beängstigend. Da wurde mir schlagartig klar, dass dieser Garten auch zur Welt gehörte und dass es vor der Welt kein Entrinnen gab.
    Im nächsten Moment hörte ich Hufgetrappel auf der Boston Way Road, konnte aber wegen der hohen Maisstängel den Reiter nicht sehen. Ich folgte dem Geräusch und schlich mich, die Schürze prall gefüllt mit Kürbissen, zurück zum Haus. Als ich in den Hof kam, erkannte ich den Onkel auf Bucephalus. Ich ließ die Kürbisse fallen, um ihm zuzuwinken. Doch er schaute, die Hand über den Augen, um sie vor der Sonne zu schützen, in die Ferne und über die Felder. Seine Mundwinkel bogen sich nach unten, als hätte er auf etwas Bitteres gebissen, verzogen sich bei meinem Anblick jedoch zu einem fröhlichen Lächeln. »Da ist ja mein anderer Zwilling!«, rief er aus.
    Ich umklammerte fest seine Hand und führte ihn ins Haus wie einen wertvollen Gefangenen. Mutter, die gerade Mais enthülst hatte, sprang auf, sodass sich ein grünlich-gelber seidiger Regen aus ihrem Rock ergoss. Überraschungen am Werktag konnte sie überhaupt nicht leiden.
    »Was bringt dich nach Andover, Bruder?«, fragte sie mit missbilligender Miene.
    »Schwester, es war ein langer und heißer Ritt«, erwiderte der Onkel lächelnd. »Ein Glas kaltes Wasser käme mir jetzt sehr gelegen.« Als sie uns den Rücken zuwandte, um einen Becher zu holen, zwinkerte er mir zu. »Offenbar geht es dir gut im Haus deiner Mutter«, sagte er, nachdem er getrunken hatte. »Wie steht es um eure Farm in Billerica?«
    »Das weißt du vermutlich besser als ich, da du sicher gerade erst dort gewesen bist. Wie du siehst, haben wir in Andover alle Hände voll zu tun.«
    Schweigen entstand, als die beiden einander forschend musterten. Dann änderte der Onkel den Kurs wie ein Schiff, wenn eine Sturmfront im Anzug ist. »Mary schickt dir liebe Grüße und hofft, dich bald besuchen zu können … wenn die Wogen sich geglättet haben.«
    »Das Wetter wird sich wohl noch eine Weile halten. Doch meine Schwester ist mir immer willkommen. Schließlich ist sie die Letzte der Familie, die noch nicht hier war.«
    Der Onkel schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, mein Sohn hat sich gründlich danebenbenommen. Dabei hatte ich gehofft, dass sein Besuch das Vertrauen in unserer Familie wiederherstellen würde«, sagte er. Mutter lachte nur schnaubend auf. Die Arme vor der Brust verschränkt, stand sie am Tisch und schwieg.
    »Außerdem hoffte ich«, fuhr der Onkel zögernd fort, »dass wir eine … Einigung erzielen können. Vielleicht eine finanzielle Entschädigung, was das Vermögen deiner Mutter angeht. Immerhin sollte das Land ursprünglich zuerst an Mary und dann an Allen fallen.«
    »Das hat sich geändert. Auf dem Totenbett hat meine Mutter die Bewirtschaftung der Farm und des Hauses uns übertragen.«
    »Das mag durchaus sein. Jedoch weiß ich als Arzt nur zu gut, welche geistige Verwirrung ein Fieber auslösen kann. Womöglich war eure Mutter nicht bei klarem Verstand, als sie diese Zusagen machte. Oder ihre Absichten wurden … missverstanden.« Obwohl er die letzten Worte nicht eigens betonte, war die Bedeutung nicht zu überhören.
    Mutter ließ die Arme sinken. Ihr Gesichtsausdruck erinnerte an einen Nerz, der sich über einen Forellenteich beugt. »Schön, dass du dich wieder auf deinen Arztberuf besinnst. Während der vierzehn Tage, die ich meine Mutter gepflegt habe, hätten wir deine Dienste nämlich gut gebrauchen können, um den Eiter aus ihren schwärenden Wunden zu wischen und stündlich die Bettwäsche zu wechseln, als sie blutige Durchfälle hatte. Eigentlich wundert es mich, dass du ihre Schreie nicht bis nach Billerica gehört hast.«
    »Sarah«, wandte sich der Onkel plötzlich an mich. »Ich habe dir etwas von Margaret mitgebracht. Geh und hol es aus meinem Sattel.«
    Ich rannte aus dem Raum und auf den Hof hinaus, wo ich Bucephalus an meinem Arm schnuppern ließ, damit er mich auch wiedererkannte. Dann griff ich in die Satteltasche und nahm ein kleines Stück Musselin heraus. Es war im Kreuzstich mit ordentlichen Buchstabenreihen bestickt und mit

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