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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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prustete, dass ihm der Speichel wie ein Wasserfall aus dem Mund rann. Ich zählte jeden Niesanfall mit und war schon bei neun angelangt, als ich vom Rand des Maisfelds her die empörte Stimme meiner Mutter hörte. Andrew, der gerade mit dem Melken fertig war, ließ vor Schreck fast den Eimer fallen, denn diese Wutausbrüche bedeuteten meistens, dass jemand Prügel beziehen würde.
    Wir drei rannten aus der Scheune. Tom war mit seiner Heugabel bewaffnet, denn er war sicher, dass Mutter gerade von Indianern überfallen wurde. Wir folgten dem Klang ihrer Stimme, konnten jedoch nicht gleich erkennen, was sie so in Rage versetzt hatte, da sie uns den Rücken zukehrte. Sie hatte die Hände fest in die Hüften gestemmt. Im nächsten Moment drehte sie sich um, und wir sahen eine hellbraune Kuh im Mais stehen und seelenruhig die Pflanzen niedertrampeln, um an die Kerne heranzukommen. Hinter ihr stand ihr Kalb und blickte uns schüchtern aus großen, feuchten Augen an. Offenbar hielten sich die beiden schon eine geraume Weile, vielleicht den ganzen Vormittag, im Feld auf, denn sie hatten alle noch stehenden Stängel abgeknickt. Die Kuh betrachtete Mutter zufrieden. Das kleine Messingglöckchen an ihrem Ohr bimmelte leise, und sie kaute gemütlich weiter, sosehr Mutter auch schreien und in die Hände klatschen mochte. Auf dem Glöckchen waren die Buchstaben »S.P.« eingraviert. Das gedämpfte Knirschen der Hufe wurde von Hannahs Weinen übertönt. Mit zusammengepressten Lippen und hochgezogener Augenbraue drehte Mutter sich zu mir um. »Sarah, geh in die Scheune, binde deine Schwester los und bring mir den Riemen. Aber schnell. Wir werden Goodman Preston noch heute Vormittag einen Besuch abstatten.«
    Während ich zur Scheune hastete, überlegte ich, ob die Zeit reichen würde, um mich ins Haus zu schleichen und einen Keks zu stibitzen. Wir hatten den ganzen Tag noch nichts gegessen, und vor Hunger krampfte sich mir der Magen zusammen. Ich band Hannah los, übergab sie Andrews Obhut, rannte in die Küche und versteckte einen Keks in meiner Schürze. Nach kurzem Nachdenken nahm ich noch einen zweiten mit, denn Mutters Kekse ließen sich nur schwer in gleich große Teile zerbrechen. Wenn ich es geschickt anstellte, konnte ich den einen Keks heimlich verspeisen, während ich Mutter großzügig den anderen überließ. Da der ganze Mais in unserem Garten abgefressen war, ließ sich die Kuh bereitwillig einfangen. Ich bildete die Nachhut und trieb das Kalb mit einem Stecken an, während Mutter raschen Schrittes vorausging. Samuel Preston war unser südlicher Nachbar und wohnte hinter Chandlers Gasthof und Thomas Osgoods Haus am Preston Plain. Als Besitzer von zweieinhalb Hektar Grund war er in der Gemeinde hoch angesehen, ging jedoch sowohl mit seiner Familie als auch mit seinem Vieh recht achtlos um. Im Juli hatte Vater eine von Prestons Kühen, Beine und Euter blutig gerissen von den Dornen, in einer von Brombeeren überwucherten Grube gefunden. Er hatte sie mühsam befreit und Tage damit verbracht, ihre Wunden mit Bier und Bärenfett zu behandeln. Dann gab er sie Samuel Preston gesund, das verletzte Euter allerdings ohne Milch, zurück. Anstatt sich bei uns zu bedanken, warf Preston uns vor, wir hätten die Kuh einige Tage lang bei uns behalten, um die Milch selbst zu verbrauchen.
    Unterwegs brach ich immer wieder kleine Stücke von dem in meiner Schürze versteckten Keks ab, steckte sie in den Mund und behielt dabei den Rücken meiner Mutter, die entschlossen vor mir hermarschierte, aufmerksam im Auge. Der Abend war kühl und neblig gewesen. Nun ließ die Sonne den wabernden Dunst auf den Feldern so mühelos steigen, wie die Flut im Hafen eine Armada von Schiffen hebt. Bäume und Wiesen waren noch üppig grün. Doch hier und da konnte ich an den äußersten Ästen der Eichen schon bräunlich-gelbe Blattspitzen entdecken. Ulmen und Eschen bogen sich zueinander und bildeten ein Blätterdach über der Straße, sodass man sich fühlte wie im Inneren eines dunkelgrünen Kessels. Kardinale und Krähen saßen hoch oben in den schwankenden grünen Höhen und stießen krächzende Warnrufe aus. Die duftende Luft legte sich auf meine Haut wie ein warmer feuchter Lappen. Ich ging langsamer, scharrte mit den Füßen und machte Staubengel. Mutter summte vor sich hin, was selten vorkam, sodass ihre sanfte rauchige Stimme in die Luft emporstieg. Bald wurde auch sie langsamer, betrachtete die verschlungenen Äste und das Gras unter unseren

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