Die Tochter der Ketzerin
darüber, du könntest Unwetter vorhersagen und Tiere heilen, dass sie schon klingt wie der Stadtschreier zur Zeit der Pest.«
Er wandte sich um und rief nach seiner Nichte Elizabeth, die ein Stück entfernt neben Roberts Pferd stand und mit Richard tuschelte. Die beiden taten ihr Bestes, um nicht auf die freundschaftlichen Hänseleien von Tom und Andrew zu achten. Richard war zwar noch nicht so groß wie Vater, musste sich aber dennoch zu Elizabeth hinunterbeugen, die ziemlich zierlich war. Schließlich kam sie zu uns herüber und blieb schüchtern mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen vor dem Karren stehen, wie man es ihr beigebracht hatte. Sie war zwar nicht sehr hübsch, aber reinlich und ordentlich und hatte ein blasses Gesicht und helles Haar. Ihre Augen waren so hellblau, dass sie fast farblos wirkten.
»Elizabeth, erzähl Goodwife Carrier, was du von den anderen Frauen gehört hast.« Als das Mädchen zögerte, fügte Robert mit sanfter Stimme hinzu: »Los, sag es ihr schon.«
Elizabeths Atem ging schneller, und sie blickte zu den Frauen hinüber, die noch plaudernd auf dem Hof standen. Mercy war auch dabei. Allerdings war nichts von ihrem roten Unterrock zu sehen, und sie trug einen manierlichen dunkelgrauen Mantel. Elizabeths Stimme war kaum lauter als ein Flüstern, und sie gab sich Mühe, nicht die Lippen zu bewegen. »Ich habe belauscht, wie Mercy Williams und Phoebe Chandler zu Mary Lacey und anderen meinten, Goodwife Carrier habe sie verhext. Jede Nacht träfe sie sich am Blanchard’s Pond mit anderen Hexen.«
»Eine hübsches Märchen. Und wie soll ich, bitte sehr, in nur einer Nacht hin- und wieder zurückgekommen sein?«, fragte Mutter, die Hand in die Hüfte gestemmt.
»Sie erzählen, Sie seien geflogen. Auf einer Stange.«
Zum zweiten Mal an diesem Morgen ertönte schallendes Gelächter, und viele drehten sich zu meiner Mutter um. Einige steckten die Köpfe zusammen, während andere die Hand vor den Mund hielten, um ihre Stimmen zu dämpfen. Männer und Frauen machten einen immer größeren Bogen um uns, als wollten sie einer überfließenden Sickergrube ausweichen. Elizabeth wand sich verlegen und hätte sich offenbar am liebsten aus dem Staub gemacht. Als sie sich verzweifelt in alle Richtungen umsah, trafen sich kurz unsere Blicke. Mir stockte der Atem, denn mir wurde schlagartig klar, dass sie auch über mich Gerüchte aufgeschnappt haben musste. Die Furcht, die sich auf dem Weg zu Samuel Prestons Farm in mir ausgebreitet hatte, kehrte zurück und arbeitete sich von den Augen bis zur Kehle vor, wo sie gerann und sich zusammenkrümmte wie ein in einem Stück Bernstein gefangenes Insekt.
Mutter wies mit dem Kopf hinter sich auf die Gemeindemitglieder, die noch vor dem Versammlungshaus zusammenstanden. »Was soll ich mit diesem Unsinn anfangen?«, fragte sie. »Welche Antwort soll ich Leuten geben, die so dumm sind zu glauben, dass ein irdischer Mensch, nicht etwa ein Engel mit Flügeln, auf einer Stange mitten in der Nacht herumfliegen und sich am Blanchard’s Pond tummeln kann?«
Robert trat näher an den Karren heran und legte seine Hand auf das Rad. Als er Mutter ins Gesicht blickte, erkannte ich eine tiefe Anteilnahme, die weit über gutnachbarliche Sorge hinausging.
»Wir haben schlechte Zeiten, Martha. Die Pocken wüten noch immer, und nur zwei Tagesritte von hier treiben die Indianer ihr Unwesen. Die Leute haben große Angst, und Angst macht dumm. Am besten bleiben wir ruhig, schweigen zu den Vorwürfen und …« - hier hielt er inne und umfasste fest das Rad - »lassen vor allem Zurückhaltung walten.«
Mutter betrachtete ihn, den Mund zu einem leichten Lächeln verzogen, und sah dann Vater an, der, das Gesicht im Schatten der Hutkrempe verborgen, zu Boden starrte. Dann seufzte sie tief auf. »Zurückhaltung«, wiederholte sie und zeigte mit dem Kinn in die Richtung, wo unser Zuhause lag. Ich weiß, dass sie das Gerede genauso abtat, wie Legenden über Meeresungeheuer und anderes Seemannsgarn. Im nächsten Moment tippte sie mir auf die Schulter, damit ich ihr Hannah reichte. Ich kletterte hinten auf die Ladefläche und suchte mir einen Platz zwischen Tom und Andrew. Während Vater auf den Bock stieg, sagte Mutter zum Abschied zu Robert: »Ich habe gehört, dass du der Witwe Frye den Hof machst. Hoffentlich können wir bald eine Hochzeit feiern, sonst werden sich die Leute auch über dich die Mäuler zerreißen.«
Anstelle einer Antwort winkte er uns nur nach, als wir
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