Die Tochter der Ketzerin
jaulende Katze. Eigentlich wollte ich gar nicht lachen, sondern ich hatte schweigend gelauscht, während der Reverend eine Predigt wiederholte, die sein Glaubensbruder Samuel Parris vor zwei Wochen im Dorf Salem gehalten hatte. Die Tochter und die Nichte besagten Reverends hatten nämlich begonnen, an merkwürdigen Anfällen zu leiden, und man munkelte, die Mädchen seien vom Teufel besessen. Mit wohligem Schaudern hatte ich zugehört, wie er die Qualen der beiden schilderte, die sich in Krämpfen wanden, Schreie ausstießen oder ohnmächtig zu Boden sanken. Manchmal wurden sie auch von unsichtbaren Mächten gekniffen oder gebissen, dann wieder rannten sie durchs Zimmer und sprangen in den Kamin, als wollten sie zur Esse hinausfliegen. Ich schaute zu den Deckenbalken hinauf und fragte mich, ob sich die Unsichtbaren wohl auch in Andover sammelten, um dort ihren Schabernack zu treiben. Reverend Barnard rief einen Fastentag aus und zitierte aus den Psalmen. »Sitze zu meiner Rechten, und ich werde deine Feinde zu deinen Fußschemeln machen.« Als ich diese Worte hörte, hatte ich die angenehme Vorstellung, die Schuhe auf Phoebe Chandlers Hinterteil zu stützen. Dann wanderte mein Blick hinauf zur Empore, wo ich den kleinen schwarzen Sklavenjungen entdeckte. Er betrachtete mich, als hätte er nur darauf gewartet, dass unsere Blicke sich trafen. Dann schielte er und streckte so weit die Zunge heraus, dass die Spitze sein Kinn berührte. Ich musste grinsen, woraufhin er anfing, den Reverend beim Predigen nachzumachen und jedes Mienenspiel und jede Geste des Geistlichen zu übertreiben. Wenn der Reverend sich über die Kanzel beugte und auf ein Gemeindemitglied wies, lehnte der Junge sich ebenfalls vor und zeigte mit dem Finger auf mich. Und als der Reverend die Augen zum Himmel hob, um den Allmächtigen anzurufen, verdrehte der Junge auch die Augen wie in einem Krampfanfall. Irgendwann konnte ich ein Lachen nicht mehr unterdrücken.
In dem nun folgenden Schweigen atmete ich ganz langsam aus. Jedes Gemeindemitglied folgte dem Blick des Sitznachbarn, bis schließlich alle auf mich starrten. Ich fühlte mich an ein Rudel Füchse erinnert, die vor Erstaunen, dass plötzlich ein Huhn vom Himmel gefallen ist, im ersten Moment reglos verharren und erst auf ein drohendes Knurren ihres Anführers ihr wahres Gesicht zeigen. Als ich meine Mutter ansah, die die schlafende Hannah im Arm hielt, konnte ich ihren Ausdruck - irgendetwas zwischen Warnung und Entsetzen - nicht deuten. Wieder wandte ich mich dem Pastor zu. Seine Augen hatten sich verengt, und auf seinem Gesicht malte sich selbstgerechte Empörung. Entrüstet stemmte er die Füße in den Boden und stieß mit dem Finger immer wieder auf die Bibel. Dabei spuckte er die Wörter regelrecht hervor, dass es klang, als sprängen sie ihm aus den Seiten entgegen und ergössen sich wie ein Regenschauer über meinen Kopf. Obwohl seine Stimme die ganze Gemeinde zum Erschaudern brachte, galt die Predigt einzig und allein mir.
»Die Kirche ist nicht von dieser Welt, und das wichtigste Ziel des Teufels besteht darin, sie zu vernichten. Deshalb tritt der Teufel in den verschiedensten Formen auf Erden in Erscheinung. Er kommt mit Krankheit und Pest. Er kommt mit den Verlockungen der Fleischeslust. Er kommt mit Zaubersprüchen und Ritualen. Und er kommt mit ungebührlichem Betragen wie Hochmut und Aufsässigkeit.« Bei diesen Worten sah er kurz meine Mutter an, bevor er sich wieder an mich wandte. »Und manchmal, ja, manchmal kommt er auch in Gestalt eines Kindes. Der Teufel sucht sich die Schwachen aus, sowohl als Beute wie auch als Werkzeug. Deshalb ist es unser aller Pflicht, nach diesen Werkzeugen Ausschau zu halten, sie auszurotten, wo es nötig ist, und sie durch Gebete, durch Strafen und, wenn es nicht anders geht, durch weltliches Feuer zu reinigen …« Inzwischen war seine Stimme so laut, dass ich wohl über zwanzig ehrbare Matronen hinweggeklettert wäre, um die Flucht zu ergreifen, wenn ich mich nicht mit aller Macht an der Bank festgeklammert hätte.
Im nächsten Moment ertönte ein lautes und anhaltendes Räuspern von der Männerseite. Bei diesem rauen Geräusch, das an einen Steinschlag erinnerte, hörten die Männer und Frauen auf, mich anzustarren, und drehten sich zu meinem Vater um. Der saß, die langen Beine angezogen, da, schaute in sein Gebetbuch, das in seinen gewaltigen Pranken winzig wirkte, und las seelenruhig weiter. Seine Lippen bewegten sich, als sei er allein zu
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