Die Tochter der Ketzerin
Brot knirschte zwischen den Zähnen, doch niemand beschwerte sich, als wir friedlich zusammen in der Wohnküche saßen. Die Abendbrise, die durch die offenen Türen hereinwehte, trocknete den Schweiß des Tages auf unseren Armen und Gesichtern. Als ich Robert mit düsterer Miene über den Hof kommen sah, schlug ich die Hand vor den Mund, voller Angst, Mutter könnte etwas zugestoßen sein. Allerdings schien die Nachricht vom Tod des Onkels Vater nicht weiter zu überraschen. Er warf Robert nur einen Blick zu und nickte, als bestünde zwischen ihnen eine geheime Abmachung. Dann ging Robert mit Vater hinaus auf den Hof, wo sie eine Weile miteinander sprachen. Richard saß, den Kopf zur Tür gewandt, da und fixierte die beiden Männer wie ein Jäger, der einen Elch auf einer Lichtung sichtet. Er atmete schnell und flach, und als er sich wieder über seinen Teller beugte, trafen sich unsere Blicke. Ich hatte Tränen in den Augen. »Wehe, wenn du weinst. Weine nicht um diesen Mann«, zischte Richard.
Ich wischte die Tränen weg, ging zu Bett und zog die Decke über den Kopf. Es war kein Geheimnis, dass der Onkel von seiner Gefängniszelle aus Lügen über Mutter verbreitet hatte, vermutlich in der Hoffnung, so seinen eigenen Hals zu retten. Vielleicht hatte er ja damit gerechnet, Großmutters Farm zu bekommen, wenn er freigelassen wurde, während alle Carriers hinter Gittern landeten. Er hatte sogar behauptet, Mutters Geist habe Tante Mary heimgesucht und sie mit schrecklichen Träumen gequält, die Indianer würden sie töten, wenn die Tante sich nicht ins Buch des Teufels eintrüge. Wir wussten, wie entsetzlich sich die Tante vor Indianerüberfällen fürchtete, weshalb es grausam und ungerecht war, ihre allgemein bekannten Ängste als das Ergebnis von Hexerei hinzustellen. Außerdem hatte der Onkel beteuert, die Tante werde freiwillig über diese Geistererscheinungen aussagen, wenn man ihr die Möglichkeit dazu gäbe. So lang und ausführlich hatte er auf jeden Magistrat, Mitgefangenen oder Besucher eingeredet, der ihm zuhören wollte, dass er an einen Kanarienvogel in einem Bergwerk erinnerte, der verzweifelte Lieder singt, bevor man ihn in den dunklen und endlosen Schacht wirft. Eigentlich hatte ich gedacht, dass mir der Onkel gestohlen bleiben könnte, denn ich hatte viel mehr Mitleid mit der Tante und Margaret, die wegen seiner Machenschaften im Gefängnis saßen. Doch ich weinte trotzdem um ihn. Mein Schmerz wurde noch durch das Wissen verschlimmert, dass Vater erst kürzlich in Boston gewesen war, um den Onkel in seiner Zelle zu besuchen.
In den frühen Morgenstunden des 15. Juni, es war ein Mittwoch, also ein Tag vor Onkels Tod, war ein Fremder bei uns erschienen, um Vater mitzuteilen, der Onkel wolle ihn so schnell wie möglich sehen. Der Mann war Arzt und kehrte gerade aus Boston, wo er aus Mildtätigkeit die Gefangenen behandelt hatte, nach Havershill zurück. Er erklärte Vater, der Onkel sei zwar körperlich wohlauf, aber schweren Herzens und würde sich über einen Besuch von Vater sehr freuen. Dann reichte er Vater ein versiegeltes Stück Pergament und verschwand, bevor wir Gelegenheit gehabt hatten, ihm etwas anzubieten. Vater las den Brief und warf ihn ins Feuer. Das Schreiben war noch nicht zu Asche verbrannt, als Vater schon Hut und Mantel nahm und sich auf den Weg zu Robert machte, um sich sein Pferd zu leihen. Als er am Haus vorbei nach Norden ritt, wo Boston lag, lief Richard ihm nach und ließ sich nicht abschütteln, bis Vater abstieg und ausführlich mit meinem Bruder sprach. Kurz darauf kam Richard zurück zum Haus getrottet. Doch als ich ihn befragte, sagte er nur, Vater sei losgeritten, um den Onkel zu besuchen. Obwohl er nichts weiter hinzufügte, waren seine Augen hart und glitzerten beinahe triumphierend. Vater war den ganzen Tag weg und kam erst am 16. Juni, also am Donnerstag, zurück. Das war der Tag, an dem der Onkel starb.
Als ich schwer atmend unter der Decke lag, um meine Tränen zu verbergen, fiel mir etwas ein, das Mutter einmal gesagt hatte. »Glückliche Zufälle widerfahren denen, die den Mut haben, sie heraufzubeschwören.« Ich sah Vaters wissenden Blick vor mir, als Robert ihm die Nachricht überbrachte, und wurde von der grausigen Gewissheit ergriffen, dass Roger Toothakers Tod alles andere als ein Zufall gewesen war.
Es heißt, für Kinder verginge die Zeit sehr langsam, da sie noch ganz am Anfang stehen und Alter und Tod für sie in weiter Ferne liegen. Allerdings
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